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Ann-Helena Schlüter

03. April 2009

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Litauen. Das Gesetz der Oktave

In zwei Wochen fliege ich nach Litauen und Lettland für zehn Tage und bin anschließend für Proben und Fotos in Berlin. Davor allerdings habe ich vier Konzerte hintereinander weg mit drei verschiedenen Duos aus Berlin, Stuttgart und Düsseldorf. Ich freue mich sehr, das Baltische Meer wieder zu sehen. Es ist auch schön, wie ähnlich meine skandinavischen Wurzeln mit der Mentalität oder der Sprache des Baltikums sind, dabei hat es doch einen so starken russischen Einschlag. Wie klein die Welt ist! Ich habe diesen Wunsch, in Mexico City im Bellas Artes zu spielen. Und tatsächlich, ein Freund fern von hier wacht auf mit meiner Musik in Mexico City und sieht aus dem Fenster auf das große Theater, Auditorio Nacional, das Bellas Artes Auditorium, während die Sonne aufgeht.

Reutlingen. Die Tontraube

Bedingungslose Kreativität? Jedes Mal, wenn wir anfangen zu reflektieren, wollen wir Wahrheit.

Ich unterrichtete in Reutlingen Improvisation. Mit meiner Nichte war ich in der Philharmonie, um Peter und der Wolf von Prokovief zu hören.

Ich spüre die Musik, von Heimweh ausgebrannt. 

22. März 2009

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Hagen. Volumina

Es ist interessant, wie unterschiedlich Menschen aus ganz Deutschland sind, wenn Meisterklassen zusammenkommen wie jetzt in Hagen — als würden wir aus anderen Ländern sein, Norddeutschland, Bayern, Franken, Ruhrpott, Ostdeutschland: Wobei ich diese Menschen sehr mag, sie haben etwas liebevoll ruppiges im Humor und sind schlagfertiger als ich, aber ohne zu verletzen. Und ich konnte wieder einen Zwischenstopp einlegen in Köln, um alte Freunde zu besuchen, die mich schon seit Jahren kennen. Ich habe in Köln einige Jahre gewohnt, während ich studiert habe.

15. März 2009

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Klangwerte und Resonanz

Am letzten Abend, kurz vor dem Konzert, bekam ich ein neues Lied, wie immer, samt Text, obwohl ich versuche, das zu vermeiden.

Lieder aus dem Gesangbuch sind eigentlich Sprache. Es ist schön, viel zu spielen und dennoch Ruhe zu haben.

Wir sind, weil wir hören. Wir sind keine Augenbeute.

Kloster Triefenstein. Obertonreihe

In ein paar Stunden geht es schon nach Triefenstein, poetisch, wie ich finde, da hier der Stein trieft. Oder weint. Überall entspringt Wasser aus den Felsensteinen. Das war früher sicher nicht leicht zum Lagern von Dingen. Es ist ruhig und edel und wie eine Burg, ich komme mir fast wie ein Burg-Fräulein vor. Die Brüder sind 12 an der Zahl, normal gekleidet, freundlich und locker, fast jeden Alters, sehen richtig nett aus, evangelisch, spontan im Gebet und sehr natürlich. Ich spiele jeden Tag, letztes Mal viele CDs verkauft. Es ist schön, erkannt zu werden. Ich habe viele Spaziergänge gemacht und hatte gute Gespräche.

Es ist seltsam, wieder zuhause zu sein. Meine Straße kommt mir vor wie ein wuselnder und dennoch ruhiger Punkt. Es macht wirklich Spaß, Sax zu spielen. Ich habe ein silbernes C-Melody (als Absoluthörerin) von Selmers New York in einem alten Selmers Koffer mit lila Samtfutter innen. Und ein amerikanisches Alt-Sax (Martin), verschnörkelt und in Gold, mit einem roten Koffer. Das C-Melody-Mundstück funktioniert nur mit einem wirklich harten Blatt. Dann aber klingt der Ton weich, sympathisch und singend. Meine Gitarre, ebenfalls eine Martin, ist ebenfalls sehr schön.

09. März 2009

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Erfurt und Lehrjahre

Gestern spielte ich mit Uwe Steinmetz in Erfurt in der Ägidienkirche an der Krämerbrücke mitten in der Stadt. Wir haben Daves Grusins durchkomponiertes Jazz-Klavier-Stück Memphis Stomp spontan auch mit Saxophon gespielt — dazu drei neue Stücke von mir. Es war in jeglicher Hinsicht eine Uraufführung. Heute habe ich das Augustinerkloster von Martin Luther besucht. Als Martin Luther damals 1505 in das Kloster kam, wurde die Biblothek gerade gebaut. Heute, 2009, ist wieder diese gleiche Bibliothek an derselben Stelle eine Baustelle, ja, ist wieder große Baustelle an derselben Stelle, als ich kam, da sie erneut aufgebaut wird nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Martin in das Kloster kam, hat niemand gewusst, dass jemals so von ihm die Rede sein würde. Den Kreuzgang zu sehen, der auch im Martin Luther-Film gezeigt wird, war ein schöner Moment. Ich hatte zufällig eine Einzelführung, da es Montag war, und durfte in dem einzig wirklich erhaltenen Raum die kleine, zarte Soli Deo Gloria-Orgel spielen. Auch die Akustik der Augustinerkirche ist dadurch, dass sie klein, breit, hoch und aus Holz ist, umwerfend. Der Ton fliegt zur Decke.

Insgesamt spüre ich dort Zeit, Geschichte, Ringen mit sich und Gott. Ich hatte einen Schauer nach dem anderen. Bach hat die Orgel in dieser Kirche inspiziert. Man kann sich kaum vorstellen, dass Bach noch nach Martin Luther lebte. Beide haben die Welt verändert. Martin Luther schrieb: Das Leben ist nicht ein Sein, sondern ein Werden. Nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Nicht Gesundheit, sondern Gesundwerden. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles. Ich muss leiden und stillehalten, dass Er mich schaffe.

Das Fotoshooting im Luisengarten Würzburg und der Improvisations- Workshop haben Spaß gemacht, da die Leute durstig danach sind, sich frei ausdrücken zu können, mit geschlossenen Augen zu spielen, sich zu trauen und angeleitet zu werden. Wer sind die Dienstherren? Die Dienstfrauen?

3. März 2009

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Riga

Am 28. April geht mein Flug von Frankfurt nach Riga, und ich bin gespannt auf Lettland, im Vergleich zu Estland oder Litauen, die Länder im Baltikum, die ich bereits besucht habe. Ich mag diesen Teil der Welt, da er für mich eine so interessante Mischung verströmt aus Ost- und Westeuropa, so nah an Skandinavien und Russland.

In Tallin war ich und in Vilnius. Beide Male habe ich dort Konzerte gespielt. Ich bin gespannt, Riga zu sehen und werde dort bei einer befreundeten Pianistin wohnen während der Konzerte. Von Riga werde ich zu Konzerten nach Siauliai in Litauen abgeholt, circa 130 km von Riga entfernt. Nach den Konzerten und Workshops werde ich meinen schwedischen Onkel Claes, seine litauische Frau Maryte und ihren Sohn (meinen Cousin) Claes Aleksas nahe von Telsiai in dem Dorf Degaiciai besuchen. Claes Aleksas ist sieben Jahre alt und spricht fliessend Schwedisch, Litauisch und Deutsch und nun bald Englisch. Er sieht aus wie Nils Holgersson. Das alte grosse Haus in Degaiciai steht auf einem wilden grossen Grundstück, bewacht von einem wilden Hund. Die Verwandten von Maryte leben in Vilnius. Ich habe sie bereits letztes Jahr besucht, als wir, das Schlüter-Duo, Konzerte in Kaunas hatten. Ich bin gespannt auf das Leben in Siauliai und ihrer Kultur in den Gemeinden. Am 11. Mai bin ich zurück. Im Juni werde ich dann mit dem Schlüter-Duo in Calvi, Korsika, spielen und eine Woche am Meer bleiben. Bald spiele ich auch in Moskau.

Gedanke 9: Schubkraft

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Schubkraft

In ‘The Pilgrim’s Progress’ sagt der Suchende: “It was ease that I sought, ease for my heavy burden.” (Es war Erleichterung, die ich suchte, Erlösung von meiner schweren Last.)

Es nicht Leistung, Kraft oder Vision, was Menschen suchen, sondern Erlösung, Heimat, Agape (bedingungslose Liebe).

Wie sagte Kolumbus: Es droht uns kein Rand! Habt Geduld! Die Erde ist rund! Land in Sicht!

Cologne

Viele haben ein wenig Scheu vor Lyrik und  Kunst, weil sie meinen, Kunst, also auch Musik, müsse immer ‚verstanden‘ werden — und wer will schon eine Stunde und länger im Konzert sitzen und ‚nichts verstehen’? Musik und Kunst muss aber nicht immer mit dem Verstand erfasst werden.

Kunst hat tatsächlich damit zu tun, erzogen, ermahnt, trainiert und gebildet zu werden, zu erkennen, zu verstehen: Prozess und Reife. Jedoch soll sie innerlich beginnen und berühren.

Kunst und Musik sind nicht nur Unterhaltung; aber sie sind es auch — und jede Kunst sollte immer auch dahingehend ‚verstanden‘ werden: Musik ist ein sinnliches Erlebnis, ein architektonischer, intellektueller Genuss, ein ästhetisches Vergnügen, eine tiefe Unterhaltung — denn wer sagt, dass die Unterhaltung einer Gesellschaft oberflächlich sein muss?

Es ist nicht unbedingt nachteilig, sich zu bilden, zu wachsen und die Sprache der Kunst und der Musik verstehen lernen zu wollen, sich auszustrecken.

Klaipeda

Gedanke 8: Wendepunkt.

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Wendepunkt

Ohne freies, gutes Gewissen arbeitet meine Konzentration beim Klavierspielen weniger frei.

Gier und Kunst vertragen sich nie. Ist es nicht immer die gleiche Geschichte? Ein begabter Mensch, diesmal in Erfurt im 14. Jahrhundert (aus dem über 700 Jahre nach seiner Geburt ein weltberühmter Mystiker geworden ist), wurde von seinen eigenen Leuten in der Kirche verfolgt.

Sie versuchten, ihn zu vernichten, verurteilten ihn als Ketzer, dass nicht einmal Martin Luther seine Schriften kannte: Meister Eckhart, einer, der schrieb, dass die Seele des Menschen weiter als der Himmel über uns sei  –  und deswegen verfolgt wurde. Wer macht die Seele so wertvoll?

Nürnberg

Wenn Wissenschaftlerinnen und Musiker nicht die Grenzen erkunden, eine Verschmelzung suchen zwischen der realen und der übernatürlichen Welt, nur das Sichtbare feiern, verpassen sie viele Schätze.

Gedanke 7: Auftrieb

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Auftrieb 

Ein Herz scheint mir gefestigt zu sein, wenn es Schmerzen ertragen kann, ohne sich Erleichterung dadurch zu verschaffen, bei anderen Menschen Inventur zu machen, sondern trotz dem Unrecht anderer in Schmerzen bei sich anzufangen. Ohne Risiko, vielleicht kindliches Risiko ist Kunst eben nicht möglich. Missglücktes scheint neben dem Erfolg ein Tor zu sein. Und ohne Unterstützer ist es unmöglich. 

Hamburg

Es gibt keine bekenntnislose Musik, denn Kunst ist nur ein anderes Wort für Sprache und damit nichts anderes als Bekenntnis und Ausdruck. Musik ist Text. Auch die reine Instrumentalmusik.

So sehr sich Musik teilweise um und nach 1945, wahrscheinlich aus Schock und Frustration, gegen das Bekennen wehrte, so ist auch synthetische, durchorganisierte (und doch am Rande des Chaos, des Wahnsinns) ein Archiv von Bekenntnissen. Vieler Musik steckt der Schrecken in den Knochen. Sinnlosigkeit ist auch Bekenntnis.

Zeit ist Bekenntnis. Eine Epoche ist Bekenntnis. In vieler Kunst steckt ein Schrei, zeigt sich Verwirrung, Zynismus, Wut, ein beschädigtes Selbstbewusstsein, ist Wertetraumata das Bekenntnis.

Denn gerade sich Wehren, sich Sträuben ist ein Bekenntnis. Kunst ist Sprache — sind nicht nur Laute und Geräusche oder Klänge oder Ideen oder Experimente. Eine Sprache macht immer Sinn und Aussage. Es ist erstaunlich, dass Deutschland auch nach seiner Zerstörung bezüglich Musik weiterhin eine so große Rolle spielte.