Ich freue mich, mit Spark in Karlsruhe zu spielen. Daniel rief mich vor zwei Tagen an. Ich liebe neue Musikrichtungen und Ideen, wie man crossover und dennoch in Kunst vorwärtsgehen kann. Die Mischung aus Jazz, Pop, Barock und Debussy ist wirklich betörend. Wie heisst der Rhythmus?
Freiburg
In Freiburg übernachtete ich bei einem Geiger des Rundfunkorchesters. Es ist schön, wenn man sich nicht verkaufen, verstellen, präsentieren muss, sondern einfach über das reden, was mir auf dem Herzen liegt, was meine Leidenschaft ist: Menschen zu kreativer Musik zu verführen.
Ein Open Air Konzert in solch einer schönen Umgebung ist ein Genuß. Ich kann, während ich auswendig spiele, die Wälder sehen, die Vögel hören, die Blumen im Wind, die Wolken betrachten.Ich mische mich mit meinen Klängen in die Wiese, in das Grün, in den Sommer. Das Wetter hielt sich gut. Ich habe noch nie Bachs Goldberg-Variationen draußen, bis es dunkel wurde, gespielt. Die Lichter in den Bäumen und über den Kunstwerken aus Glas blitzten, der Mond war eine winzige Sichel. Die Leute haben sehr gut zugehört, waren angetan und sagten, die Musik habe sich im Garten verfangen und genau dazugehört, als sei sie Teil des Gartens.
Heute habe ich eine kleine Bachforelle mit der Angel gefangen. Es war abenteuerlich, da die Brennnesseln an der kleinen Grube — so heißt der Bach im Garten — so hoch und groß waren wie ich. Ich über Stacheldrahtzäune an Kühen und Schafen und Hühnern vorbeimusste. Wir wateten in kniehohen grüngrauen Gummistiefeln durch den kalten Fluss, ohne Schlamm aufzuwirbeln, und flüsterten. Ich merke, wie dort mein verstecktes skandinavisches Blut zum Vorschein kommt. Wir aßen jeden Morgen frische Eier, die ich aus dem Stroh ‘fischte’.
Das Haus der Landschaftsarchitekten und Künstler in Höxter bei Kassel, dort, wo ich das Open-Air-Konzert auf der Gartenbühne spiele, ist wiederum eine ganz andere Art Traumhaus, nicht so romantisch, sondern eine Mischung aus Wildheit, Weite, Ordnung. Es ist ein fast rein ökologisches Haus in einem warmen Gelb mit Holzvorbau, Holzfenstern, Brunnen, Solaranlage auf dem Dach, Hühnern, Katzen, Gewächshaus, einem eigenen Bach, indem sie Forellen fischen.
Ein Open Air Konzert in solch einer schönen Umgebung ist ein Genuß. Ich kann, während ich auswendig spiele, die Wälder sehen, die Vögel hören, die Blumen im Wind, die Wolken betrachten.Ich mische mich mit meinen Klängen in die Wiese, in das Grün, in den Sommer. Das Wetter hielt sich gut. Ich habe noch nie Bachs Goldberg-Variationen draußen, bis es dunkel wurde, gespielt. Die Lichter in den Bäumen und über den Kunstwerken aus Glas blitzten, der Mond war eine winzige Sichel. Die Leute haben sehr gut zugehört, waren angetan und sagten, die Musik habe sich im Garten verfangen und genau dazugehört, als sei sie Teil des Gartens.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von dem erschütternden Tod Michael Jacksons.
Im ICE verwandelte sich ein Mann: Nachdem ein grauer “Momo-Mann” neben mir ausgestiegen war, kam ein neuer, so dachte ich, und beachtete ihn nicht. Nach einer Weile bekam ich das Gefühl, ich sollte auf ihn reagieren und erwiderte sein Lächeln, das ich zuvor ignoriert hatte. Sofort kamen wir ins Gespräch, und da ich leider zu spät gespürt hatte, dass jemand Besonderes neben mir sitzt, war das Gespräch zu unserem beider Bedauern sehr kurz, da ich aussteigen musste. Es tat mir weh, dass ich manchmal zu schnell Menschen in Schubladen stecke: Verpasste Gelegenheit, einen interessanten Menschen zu sprechen.
Um von Freiburg nach Kassel zu kommen, muss man durch das ganze Land fahren. Hört sich Freiburg — Kassel nicht nah an? Es geht über Baden-Baden, Mannheim, Karlsruhe, Frankfurt, Fulda … Da Freitag nachmittag war, wimmelte es im ICE von den grauen Männern wie bei Momo: Männern in gleichen Anzügen mit lauten unkünstlerischen Laptops, müde, genervt, monoton, emotionslos laut telefonierend, mit Stöpseln in den Ohren und großen Schuhen. Unheimlich. Draußen fing es an zu regnen, gleichzeitig schien die Sonne, und ein wunderschöner Regenbogen spannte sich über den Himmel. Ich quiekte, als ich ihn sah. Niemand beachtete den Regenbogen. Ich war die einzige Frau im Abteil. Eine herrliche Landschaft breitete sich draußen vor den Leinwand-Panorama-Fenstern aus. Ich lag da und sah dem Sonnenuntergang entgegen. Erstaunlich ist, dass selbst kilometerweit weg von dem Ereignis Sonne die Wolken rot gefärbt eine Märchenwelt formen.
Ich liebe es, wie Tomaten im Zimmer duften, und Erdbeeren. Wenn ich sie frisch vom Bauernhof hole, schlinge ich sie schon aus der Schale oder dem kleinen Karton in mich hinein, bevor ich im Auto sitze. Leider haben viele meiner Noten dadurch Erdbeerflecken bekommen. Ich bin erstaunt, wie sehr die Mensa oder Burse ein kulturreller Ort ist; viele wichtige Informationen, Tipps in den kleinen Gesprächen am Rande erfährt man hier. Mit Freude hörte ich heute zufällig die Bayernhymne. Eine Hymne rührt mich jedesmal.
Die meiste Nähe zu mir und zu Gott habe ich oft, wenn ich am Klavier bzw. Flügel sitze; besonders Bach tut mir gut; ich verbringe mit seiner Musik 2×150 Minuten am Tag allein. Sobald ich ein Instrument sehe, möchte ich sofort üben oder spielen. Es zieht mich magisch an. So kommt es, dass ich auf vielen unterschiedlichen Instrumenten in unterschiedlichen Räumen spiele, je nachdem, wo ich eben gerade bin. Heute übte ich, das ergab sich so nach meiner Sprechaufnahme, in der Mergentheimer Straße. Es wurde spät, ich hatte eine wundervolle Aussicht im vierten Stock und die Fenster geöffnet. Bach vermischte sich zart mit dem fernen Rauschen der Autobahn, die über die grosse Brücke führt. Wie Schnecken krochen die schweren LKWs über die Brücke und sahen winzig klein aus. Dazu mischt sich stets, wenn ich mit geöffnetem Fenster übe, der Gesang der Vögel. Sie scheinen Klavierklang zu akzeptieren und trällern mit. Auch einige Schmetterlinge flogen in mein Zimmer. Ein Schmetterling legte sich seitwärts auf den Klavierdeckel. Zuerst dachte ich erschrocken, er sei gestorben, aber er sah so gemütlich und entspannt aus, dass ich ihm ein Stündchen vorspielte, bevor ich ihn vorsichtig weckte. Daraufhin flog er davon. Schmetterlinge erinnern mich an meine Kindheit. Im Winter sah ich einmal auf einem Spaziergang mit meiner Mutter einen Schmetterling wie tot am Boden liegen. Ich hob ihn auf und hielt ihn vorsichtig und wärmend in meiner Hand. Als ich nach einer Weile nach ihm sehen wollte, war ich völlig überrascht, dass er mir davonflog. Die Wärme meiner Hand hatte ihn wieder lebendig gemacht. Während der Sprechaufnahmen für PianoLyrik genoss ich, dass mir dabei stets neue Ideen für Gedichte und auch Korrekturen einfielen. Wir kamen zügig voran und schafften 7 Gedichte, morgen weitere 7. Natürlich übe ich gerne in der Hochschule, da es nett ist, seine Kollegen in den kleinen Pausen zu treffen. Erstaunlicherweise geniesse ich auch, mit den wissenschaftlichen schriftlichen Arbeiten zu beginnen, auch wenn diese Texte nicht in erster Linie lyrisch sind. Im Dezember beginne ich bereits mit meiner Magisterarbeit — wenn ich nicht längst begonnen habe.
Die Kinder und Jugendlichen waren mir besonders wichtig, weil sie eine Band gründen wollen, was es in dieser über hundertjährigen Kirche noch nie gab. Diese Kinder von 9 bis 16 Jahren waren für mich das Erstaunlichste an dieser Gemeinde Es war das erste Mal für mich, dass ich eine komplett gemischte Gruppe so einheitlich im Seminar sitzen hatte: Kinder von 9 bis 16, Erwachsene, die spielen und noch gar nicht spielen konnten, alle Instrumente, passive Teilnehmer. Gerade die Zehnjährigen waren mit Eifer dabei und umrundeten den kleinen Flügel, spielten vierhändig und später sogar zu dritt am Flügel, auch in Kombination mit Erwachsenen, die spielen und noch nicht spielen konnten. Es dauerte eine Weile, bis die Kinder eine Rhythmusgruppe gleichmässig lernten zu spielen, damit Melodieinstrumente darüber improvisieren konnten, so die Flöte, die Trompete, Gesang. Leider traute sich noch keiner, der Saxophon oder E-Gitarre spielte. Der Sechzehnjährige am Schlagzeug half mir und der großen Gruppe, gemeinsam einen Rhythmus halten zu können. Nachdem ich Dur und Moll und viele Harmonien vorgestellt hatte, worüber wir in Basis-Schritten improvisierten, in verschiedener Dynamik, gingen wir zu Liedern über, die den meisten bekannt waren, nachdem ich das Schema eines Liedes erklärt hatte: Taktanzahl, wie es aufgebaut ist, auch bezüglich Soli. Das war das Highlight, ich konnte sie nicht mehr bremsen. Als ich am Ende der Kurses müde und erschöpft war, fingen die Kinder erst richtig an, Musik zu machen und übten noch stundenlang weiter. Es war das erste Mal seit der hundertjährigen Geschichte dieser Kirche, dass sich eine Band zu formieren begann. Die Kinder haben mich sehr beeindruckt.
Meine Noten und Bücher waren voller Sand, als ich meinen Koffer auspackte. Ich bin seit einigen Stunden wieder zuhause. Es war schön, wieder in Ruhe zu üben. Die Acryl Leinwand von Simone hängt an meiner Wand in der Nähe des Flügels. Der Improvisations Workshop war super gestern; kaum waren wir angekommen, wartete die Presse: zuerst ein Fotograf, dann eine junge Frau, die mitschrieb. Es waren fast 30 junge Leute beim Kurs anwesend, alles bunt gemischt, dazu die vielen Zuschauer, die passiven Teilnehmer sozusagen — denn vom Zuhören kann man lernen.
Es war kein Schock, wieder in Deutschland anzukommen, da nach einer Woche Regen in den meisten Teilen Deutschlands, während ich in Korsika war, der Tag, an dem ich am Kölner Flughafen eintraf, der erste sonnige Tag nach sieben Tagen war. Ich wurde abgeholt, meine Mom reiste mit dem Zug nach hause, wir fuhren nach Velbert mit dem Auto, 20 Minuten von Wuppertal und Bochum entfernt, und ich schlief erst einmal ungewollt einige Stunden, am Ziel angekommen. Zwei Wochen Mittelmeer muss sein, sonst ist die Umstellung doch anstrengend, wenn man dort spielt. Das Konzert in Velbert war für mich ein Genuss und nicht so anstrengend wie in Calvi, wo man die Sonne und den Wind noch überall in seinem Körper spürt.
Die FeG Velbert sieht von außen wie eine kleine weiße Villa aus mitten in einer schönen ruhigen Wohngegend. Simone Ramshorn, Bildende Künstlerin, die als Künstlerin im Leitungskreis ist und Leben.live gegründet hat, mich vom RAD Künstlerbewegung her kennt, wo wir beide seit 5 Jahren tätig sind, ich im Bereich Musik, sie im Bereich Bildende Kunst, und eingeladen hat nach Velbert, gestaltete auch den Jugendbereich der FeG innen wunderschön und künstlerisch, zum Beispiel mit Styroporplatten bemalt in Weiß, Acryl in Tönen von hellem Terracotta, feeling aus dem Mittelmeerraum verbreitend, an die Wand geklebt, dass sie wie Gestein wirken an der Wand. Der kleine brandneue schwarze Kawai Stutzflügel, den ich einweihte, klang schön und nicht eng, wie ich (bei einem Stutzflügel) befürchtet hatte. Ich bekam einen riesigen Strauß Pfingstrosen und hellrosa Rosen, die Köpfe haben dick wie Pfirsiche. Die Pfingstrosen, die ihre Farbe ändern.
Nach dem Konzert saßen wir noch gemütlich unter der Marquise von Ramshorns im Garten und tranken Rotwein. Von Korsika war ich leider bereits gewöhnt, Wein (wie Wasser) zu trinken, glücklicherweise meistens Rosé. Freunde waren eingeladen und erzählten von ihren Reisen nach Neapel, Indien, Neuseeland. Für mich ist der Bruch zwischen klassischen Stücken — ich spielte Bach, Chopin, Franck und Haydn — und eigenen Stücken, Songs, die ich singe und spiele, Improvisationen und Lyrik vom Flügel aus gelesen mittlerweile normal geworden. Für viele Menschen aber ist dies ganz neu und sehr überraschend, für beide Seiten: für die Klassiker und auch für die, die sich kaum mit Klassik oder Musik beschäftigen. Morgen sind die Kinder dran. Ich freue mich vor allem über die vielen Kinder, die kommen werden mit Schlagzeug, Querflöte, Bongos, Cachon, Gitarre, auch klassischer Gitarre, und natürlich die kleinen und großen Pianisten. Natürlich bin ich auch gespannt auf Simones Atelier in der Stadt. Es macht mir Freude, zu Kunstwerken Lyrik oder Songs zu schreiben oder dazu frei zu improvisieren wie bei der KunstwerkWoche in Lungern, Schweiz, wo wir als Band spielten. Vielleicht werden wir uns nochmal in Schottland in einem Turm treffen und kreativ sein, abgeschieden vom normalen Leben wie im Künstlerdorf La Pigna bei Calvi.