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Thoughts

Nur 1 bis 2 Prozent sind professionelle Musikerinnen und Künstler in der Weltbevölkerung. Und kaum welche davon in den Kirchen.

Früher wurde es den Künstlerinnen und Künstlern in der Kirche vorgeworfen, in Konkurrenz zu Gott zu treten. (Je genialer, desto geächteter.)

Heute trifft ebenfalls die Subkultur “Christsein” auf die Subkultur “künstlerisch sein.”

Washington und Basel

Nach-Schöpfer

Es ist wichtig, Mangel künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Wichtig für Kreativität ist die Motivation. Viele Menschen haben Angst vor Melancholie und verwechseln diese mit Depression. Ich glaube, Melancholie in Verbindung mit Ruhe und Ernsthaftigkeit ist ein wichtiger Schlüssel für Kreativität, die zugelassen und erlaubt werden darf. Heutzutage muss jeder Mensch stets fröhlich sein, was zu Fassaden und Oberflächlichkeiten führt.

Wie Johann Sebastian Bach sein Bekennen in das Gemäuer seiner Musik eingebaut, verborgen und als Fundament gelegt hat, zeigt mir: Es ist der Sinn und die Aufgabe der Forschung: den Schlüssel der Wahrheit zu finden, und die Aufgabe der Künstlerinnen, Wahrheit zu bekennen.

Erfurt

Brahms, Bruckner —  ihre Dichtung und Sprache ist die Musik. Wo sind meine Vorbilder? Ich kann nicht eben Martin Luther anrufen und fragen, was er von gewissen Dingen halten würde. Und die Frauen? Der, der aus dem Rahmen fällt als Schreibender ist umso mehr Bach, der für mich stets in Richtung Musikdrama und Dichtung, Psychologie, Theologie und Philosophie Vorbild ist.

Die Nach-Schöpfer, die Interpretinnen, schreiben auch, aber für mich sind eben die Neuschöpfenden wichtig, die, die eine Muse brauchen. Was für eine habe ich? Wagner wiederum in all seiner Ambivalenz ist für mich Dichter, Schriftsteller, Gesamtkunstwerk, er war ein Komponistendichter.

Es gibt schreibende Künstlerkomponisten wie Liszt, Schumann, E.T.A Hoffmann, Mahler, Schönberg — aber sie schreiben fast ausschließlich theoretische Schriften, keine Lyrik oder Dramen oder Romane. Ein Schriftsteller ist philologisch tätig. Musik ist Wort.

Musik

Musiker sind seit jeher, zumindest seit 1600 ein fahrendes Volk. Viel anders ist es heute nicht. Doch gleichzeitig sind wir Historiker. Durch Musik und Kunst kann ich Geschichte und geschichtliche Utopien nachempfinden. Ich spüre, dass ich eine lange Geschichte plötzlich aufrolle, wenn ich Musik mache.

Es ist manchmal kaum erträglich und schmerzlich, da diese lange Geschichte meine eigene berührt. Ich spüre die Wunden des Missverstandenseins, die so vielen Musikerinnen zugefügt worden sind durch alle Jahrhunderte hindurch — und meine dazu, die mich persönlich betreffen. Musikersein ist ein Seins-Zustand.

Wie viele Räume können sich in der vierten Dimension öffnen? Konvergieren und Divergieren, auch wenn sie Gegensätze sind, sind letztendlich das Gleiche im Bereich der Unendlichkeit, konkret nur an der Unendlichkeit interessiert.

Divergiert etwas nach Null? Nein. Konvergieren braucht erst eine Aufgabe und ist sehr abhängig von der Funktion, vom Verhältnis. Aber Divergieren ist davon freier, da Unendlichkeit keine Richtung kennt.

Der Kopf und die Seele des Menschen ist auch ein Raum, auch da gibt es Verhältnisse und Gesetzmäßigkeiten, Grenzwerte. Besitzt eine Folge, also ein Denkprozess, eine Summe und einen Grenzwert, eine Funktion, eine Abhängigkeit, so wird sie konvergent.

Es mag sein, dass Divergenz und Denken nicht wirklich kongruent sind, aber ich finde dies ein schönes Bild, sie in Verbindung zu stellen. Konvergiert eine Kurve, wird sie oder das Ergebnis immer kleiner, obwohl die Zahl ins Unendliche geht. Divergenz hat keinen Grenzwert und ist auch nicht abhängig von einem solchen Grenzwert, einen Sinn ist zu finden. Divergent zu denken hat für mich nur eine Grenze: die Wahrheit, und was oder wer ist die Grenze der Unendlichkeit?

Polen

Kreativität ist intuitives, innovatives, divergentes Denken. Denken mit Geist. Divergent bedeutet, dass man aus anderen Bereichen Erkenntnisse und Lösungen auf neue Probleme überträgt. Eigentlich kommt dieser Begriff divergent aus der Mathematik, aus der Kurvendiskussion, und bedeutet auseinanderdriftend.

Konvergent und divergent sind hier Annäherungsbegriffe in der Analysis. Eine Kurve nähert sich Null an, wird nie Null, wird unendlich klein. Oder sie driftet von Null weg, divergiert ins Unendliche. Ist dies nicht sehr symbolisch? Sie bedingen einander, sind eine Einheit, auch wenn sie Gegensätze sind. Kreativität braucht auch beides. Man müsste neue Begriffe erfinden und definieren. Was bedeutet der Begriff Kunst? Beim Divergenten wird aus Begrenzung ausgebrochen, es geht um Neues schaffen.

Dass Kreativität Denken ist, sogar Problemlösungs-Denken, mehr als traditionelles, menschliches, schulisches Denken. Die Gesetzmäßigkeit des Denkens ist die Sehnsucht, die Suche nach Wahrheit, für diese man bereit ist, anzuecken und zu leiden, daher kann man auch divergentes Suchen, Finden, Schaffen sagen.

Es geht dabei um Ästhetik, die für mich mit Denken und Wahrnehmen zu tun hat. Divergentes Denken ist in Ebenen verschachtelt und strebt nach außen, es ist ein Angriffsdenken, ein aus Systemen denkendes Denken, genauer, in Systembeziehungen denkend, ein Übertragungsdenken im positiven Sinne.

Es mag sein, dass das Wort divergent, seit 1967 von Joy Paul Guilford für Coachingszwecke und Intelligenzforschung genutzt, irreführend ist. Für mich nähert er sich gut an: Ein sich vergrößerndes, sich vermehrendes Denken.

Es stimmt, dass Menschen mit hohem divergenten Denken, also Künstlerische, oft Not haben mit Routine oder Schwierigkeiten mit Menschen, die unflexibel, ungerecht, altmodisch und pedantisch sind, klein halten, ausbremsen. Sie kreieren, konstruieren gerne, haben Mut, Neues auszuprobieren.

All diese Fähigkeiten braucht man auch in der Musik, in Wissenschaften, in der Schriftstellerei. Hohe Werte haben sie meist auch in symbolischen und semantischen Fähigkeiten, in abstrakter Symbolik. Ich bin immer noch fasziniert, dass Kreativität und Problemlösung eins sind, eng zusammengehören.

Doch viele konventionelle Leiter haben keinen Mut, Neues zu schaffen, zu kombinieren, nicht die Kreativität, das Umsetzen und Erkennen von neuen Wegen. Künstler gehören daher trotz ihrer Mängel dringend auch in Leiterschaft.

Sie sind an ganz neuen Problemlösungen dran. Konvergentes und divergentes Denken sind eine Einheit und gehören zusammen. Dadurch passen auch Kunst und Wissenschaft gut zusammen und sind nicht konträr. Sie sind Gegenstücke, aber im guten Sinn. Wie bringt man Künstlersein und Leitersein unter einen Hut? Wie Wissenschaft, Musik und Kunst?

Dazu kommt für mich noch Frausein in einer Leiter-Herrscher-Männerwelt. Es wundert mich, dass viele Gebiete oft Männerdomänen sind. Ich glaube, dass viele Frauen kreativ begabt und divergent denkend sind und sich einfach nicht trauen, sich dementsprechend einzusetzen.

Intelligenztests und Intelligenzforschung mögen umstritten sein, aber der SOI-Test hat meine Seele berührt, und Intelligenz hat viel mit Seele zu tun.

Improvisation

Ich ahne, dass Kreativität große Hände hat, auch wenn ich kleine habe.
Der Moment ist Kreativität. Denn auch der Alltag ist voll Poesie.

Brühl

Seitdem die ‚Gesetzestreue‘ der in Noten aufgeschriebenen Werke immer größere Ausmaße angenommen hat, ist die Improvisation (in der klassischen Musik) immer mehr verkümmert. Doch im 18. und 19. Jahrhundert bereits war die Improvisation ein großer Teil des künstlerischen Lebens.

Sie diente nicht zum Selbstzweck, sondern: Stimmung, Empfinden, Atmosphäre auszudrücken — besonders in den Opernhäusern. Die Bedeutung des Textes, die Bedeutung der Worte wurde durch Fülle von Noten ausgestattet, Momente herausgehoben — es war sogar so: ein Sänger, eine Sängerin wurde umso besser empfunden, desto weniger genau er sang, was da stand.

Das ist nun heute gerade umgekehrt. Früher war die Oper im besten Sinne ein Spektakel, die Improvisation öffnete musikalische Räume, unmittelbar auszudrücken. Ist heute das Konzert ein Abenteuer? Aus sich herausströmen zu lassen, was das Künstlerischste ist: den Moment. Den zeitlosen Moment. Heute ist es sogar in den Kirchen kaum erlaubt, frei zu spielen.

Velbert

Intuition ist eine Kraft

Eine Kraft aus Gesetzmäßigkeit und Gefühl. Es geht nicht um Frequenzen oder Mächte oder Synchronisierung. Allerdings kann man den Sinn des Lebens nicht auf die Art und Weise kennen lernen, wie eventuell süchtige Spieler einen Automaten, in dem sie vor ihm sitzen und sich die Reihenfolge der Lichter und Zahlen merken und die Abstände dazwischen oder Lehrende aus Büchern. Es braucht Beziehung.

Wie viel Intuition braucht unser Land? Das Gegenteil von Intuition ist Unsicherheit. Viele Menschen leiden unter Dauer-Verunsicherung, unter chronischer Unsicherheit.

Musik sucht ja stets nach neuen Kombinationen und Wegen. Manchmal braucht es sehr lange, bis Menschen neue Wege in der Kunst überhaupt verstehen. Viele Künstlerinnen sind ihrer Zeit voraus.

Musik scheint mir wie Schach: es gibt eindeutige Regeln, eine Architektur, und doch Millionen Kombinationsmöglichkeiten: auf dem Fundament allerdings der Regeln. Diese Regeln haben viel mit Ästhetik zu tun: Ästhetik wiederum hat mit dem Herzen zu tun. Aus dem Herzen kommt heraus, wer man ist und was man denkt — im künstlerischen Schaffen mehr als im Interpretieren.

Ästhetik hat viel mit dem Herzen zu tun und damit mit Motivation, eine der wichtigsten Wurzeln von Kunst. Ästhetik ist wichtiger noch als Ethik, wie man allgemein andersherum denkt, mehr als die Kultur einer Nation, die wiederum oft eine Anhäufung von menschlichem Denken ist — denn es geht stets erst um das persönliche Herz, wer man ist.

Glaswürfel, Oberösterreich

Zippert zappt

lese ich gerne, da mir Humor, klug, lyrisch und nicht boshaft, gefällt; ich mag das weiche Zynische; ich muss schmunzeln; es ist dennoch aufrüttelnd, oder ich verstehe jedenfalls, dass es so gemeint ist.

Kunst hat mit Herkunft zu tun. Kunst ist Herkunft. Da gibt es für mich keinen Dilettantismus in Neuschöpfung. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen musikalischer Aktivität und Kunst — aber dieser Unterschied kann fließend sein. Die Kunst ist lebensnotwendig und nicht nur Luxus oder Schmuck.

Der Begriff ‚gute Musik‘ ist vielleicht schwierig, da wertend, wobei Wertung durchaus nicht immer etwas Schlechtes ist, im Gegenteil. Die Kunstmusik hat mit Klangvorstellung zu tun, die reifen muss. Dabei ist jede Klangvorstellung mit Vorsicht zu geniessen, da sie einengend werden kann. Eine Klangvorstellung sollte kein festes Prinzip sein. Kunst ist Revolution, Symbolwelt, Tiefe. Man muss jedoch vorsichtig sein, da alles Einseitige eine große manipulierende Macht werden kann.

Kreativ sein bedeutet Finden. Finden, was bereits da ist. Und doch erschaffen wir etwas, das vorher noch nicht da war, noch nicht ins Leben gerufen. Aus der Quelle, die um mich ist, erschaffe ich: sichtbar zu machen, was unsichtbar war.

Kreativität ist eine Person, die anklopft und darauf wartet, von mir entdeckt zu werden. Wenn ich etwas nicht entdecke, wird es vielleicht solange nicht da sein, bis ich es erkenne.

Denn auch Zeit ist ein Teil der Kreativität und des Prozesses. Jeder Augenblick dabei ist Kreativität. Anstrengend und arbeitsam ist es, das Gefundene zu behalten, zu formen, zu schmiergeln, zu bebauen. Struktur, Bescheidenheit, Konzentration und Demut sind Wegbegleiter von Kunst.

Kampala

Konvention und Norm: Übereinkünfte, dass etwas normal zu sein hat. Sobald etwas konventionalisiert wird, gebunden, systematisiert, können Begriffe und Inhalte kaputt gehen. In dem Sinne sind viele Traditionen verheerend, da sie lähmen und stoppen und an Generationen kleben bleiben. Beethoven hat sich nicht an die ‚Sonatenhauptsatzform gehalten’, diese ‘Form’ wurde erst nachträglich daraus gezogen.

Kein Wunder, dass die jungen Musiker an der Hochschule große Schwierigkeiten haben, in der Theorie mit Freude zu sitzen. Das Neue wird zur Routine. Theorie ist ja etwas sehr Spannendes, braucht Zeit zum Reifen. Ich sehne mich nach neuen Symphonien in unserem Jahrhundert.

Wenn Schubert Beethoven ‘überwinden‘ konnte — dann können wir auch überwinden und Neues schaffen. Beethoven komponierte dramatisch mit dem Endziel am Schluss, doch Schubert hatte seinen Höhepunkt in der Mitte seiner Symphonie. Neues umsetzen bedeutet oft Radikalität.

 

Calvi, Corse

Kunst ist Herkunft

Musikerin sein ist ein Seinzustand, lange vor dem professionellen Studium. Später kommt die Frage, wie das konkret aussehen wird im Seiltanz des Lebens mit Beruf, Reiz, Außenwelt, Entwicklung, Entfremdung und der Arbeit, sich dem klanglichen Ideal selbst anzunähern.

Menschen erschaffen aus dem, was sie entdecken — von dem, was bereits da ist. Wir schöpfen aus dem, was geschöpft ist. Das Erstaunliche ist: wenn wir es nicht entdecken, wird es nicht (für uns) da sein.

Lake Victoria, Uganda

“Ich möchte wissen, nicht vermuten. Gott soll sein Gesicht enthüllen und zu mir sprechen. Ich rufe zu ihm in der Finsternis.” (Max von Sydow in Ingmar Bergmans Det Sjunde Inseglet. Das siebte Siegel, 1957: Bergmans symbolische, künstlerische Filme sind ein Ausdruck der Suche des Menschen.)

Es gibt viel Kunst, die um die Wahrheit herumtanzt, ausweicht.

Kampala

Die Realität ist nicht ein Stück hinter, sondern ein Stück vor Musik. Oder besser, die Realität ist nicht nur ein Stück vor, sondern auch in und hinter der Kunst.

Musikalische Analyse, Erkenntnis beeinflusst die mentale Einstellung der Künstlerin positiv oder negativ.

Ich glaube, dass die mentale Einstellung einer Pianistin auf der Bühne erheblichen Einfluss hat auf das Publikum.

Stuttgart

Volksmusik

prägt eine Nation. Die amerikanischen Lieder der Schwarzen sind Teil der Volksmusik der Vereinigten Staaten. Zart und pathetisch. Die großen Musiker haben die Melodien der einfachen Leute genommen. Volksmusik ist oft etwas ganz anders als das, was man in Kommerz und Show im Fernsehen sehen kann. Piazolla sagt, dass die Emigranten aus Neapel in Argentinien den Tango schrieben. Der Tango ist die Volksmusik Neapels.

Diese bodenständigen und doch übernatürlichen Melodien der Volksmusik sind die Große Schule der Kunst. Ich bin immer wieder begeistert über die Rhythmen in Afrika, noch unentdeckte Schätze und Begabungen. Volksmusik ist nicht trivial oder sentimental im negativen Sinne. Es gibt Schlager, die benutzen die Kraft der Musik, aber die Volksmusik zeigt zunächst das Herz einer Nation. Dieser Schatz sollte nie verloren gehen.

Quelle des Nils in Uganda


Kampala, Uganda

Ein Sinn von Literatur und Kunst ist, dass der Mensch sich selbst erfährt. Die Voraussetzung, mit dem Sinn des Lebens in Kontakt zu kommen, ist, zu spüren, dass und wer man ist. Wenn ich Musik höre, höre ich, dass es Sinn macht, für etwas zu leben.

“Es ziehen die Fehler und Sünden meines Lebens wie verschleierte Gesichter an mir vorbei und eine Hand legt sich auf meinen Kopf und jemand sagt: Mein Kind.” (Sydney Lanier)

C. A. Schwarz schreibt, dass wir uns bedanken können, wenn jemand wie Nietzsche sagt, Gott sei tot. Denn der Gott, den wir uns so oft erdenken, der Gott unserer Traumata oder unserer Ängste, der ist wirklich tot.

Wenn man reist, begegnet man Gott unweigerlich. Die Welt ist so viel und gleichzeitig so zart und klein, überall erstaunliche Möglichkeiten und Menschen. Mit jeder Reise wache ich, im Fühlen, Denken und Erleben, auch politisch und geographisch.

Jede Sichtweise hat damit zu tun, was man im Bauch, in den Nieren, im Zentrum des (Wahrheits)empfindens spürt und erkannt hat; hängt unmittelbar mit einem prozessartigen Erleben zusammen. Die wichtigsten Dinge kann man nicht in Büchern erlernen — es braucht Begegnungen.