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Klavier

26. Juni 2009

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ICE-Leben

Um von Freiburg nach Kassel zu kommen, muss man durch das ganze Land fahren. Hört sich Freiburg — Kassel nicht nah an? Es geht über Baden-Baden, Mannheim, Karlsruhe, Frankfurt, Fulda … Da Freitag nachmittag war, wimmelte es im ICE von den grauen Männern wie bei Momo: Männern in gleichen Anzügen mit lauten unkünstlerischen Laptops, müde, genervt, monoton, emotionslos laut telefonierend, mit Stöpseln in den Ohren und großen Schuhen. Unheimlich. Draußen fing es an zu regnen, gleichzeitig schien die Sonne, und ein wunderschöner Regenbogen spannte sich über den Himmel. Ich quiekte, als ich ihn sah. Niemand beachtete den Regenbogen. Ich war die einzige Frau im Abteil. Eine herrliche Landschaft breitete sich draußen vor den Leinwand-Panorama-Fenstern aus. Ich lag da und sah dem Sonnenuntergang entgegen. Erstaunlich ist, dass selbst kilometerweit weg von dem Ereignis Sonne die Wolken rot gefärbt eine Märchenwelt formen.

16. Juni 2009

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Gipfel und Melodien

Die Kinder und Jugendlichen waren mir besonders wichtig, weil sie eine Band gründen wollen, was es in dieser über hundertjährigen Kirche noch nie gab. Diese Kinder von 9 bis 16 Jahren waren für mich das Erstaunlichste an dieser Gemeinde Es war das erste Mal für mich, dass ich eine komplett gemischte Gruppe so einheitlich im Seminar sitzen hatte: Kinder von 9 bis 16, Erwachsene, die spielen und noch gar nicht spielen konnten, alle Instrumente, passive Teilnehmer. Gerade die Zehnjährigen waren mit Eifer dabei und umrundeten den kleinen Flügel, spielten vierhändig und später sogar zu dritt am Flügel, auch in Kombination mit Erwachsenen, die spielen und noch nicht spielen konnten. Es dauerte eine Weile, bis die Kinder eine Rhythmusgruppe gleichmässig lernten zu spielen, damit Melodieinstrumente darüber improvisieren konnten, so die Flöte, die Trompete, Gesang. Leider traute sich noch keiner, der Saxophon oder E-Gitarre spielte. Der Sechzehnjährige am Schlagzeug half mir und der großen Gruppe, gemeinsam einen Rhythmus halten zu können. Nachdem ich Dur und Moll und viele Harmonien vorgestellt hatte, worüber wir in Basis-Schritten improvisierten, in verschiedener Dynamik, gingen wir zu Liedern über, die den meisten bekannt waren, nachdem ich das Schema eines Liedes erklärt hatte: Taktanzahl, wie es aufgebaut ist, auch bezüglich Soli. Das war das Highlight, ich konnte sie nicht mehr bremsen. Als ich am Ende der Kurses müde und erschöpft war, fingen die Kinder erst richtig an, Musik zu machen und übten noch stundenlang weiter. Es war das erste Mal seit der hundertjährigen Geschichte dieser Kirche, dass sich eine Band zu formieren begann. Die Kinder haben mich sehr beeindruckt.

14. Juni 2009

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Deutschland

Es war kein Schock, wieder in Deutschland anzukommen, da nach einer Woche Regen in den meisten Teilen Deutschlands, während ich in Korsika war, der Tag, an dem ich am Kölner Flughafen eintraf, der erste sonnige Tag nach sieben Tagen war. Ich wurde abgeholt, meine Mom reiste mit dem Zug nach hause, wir fuhren nach Velbert mit dem Auto, 20 Minuten von Wuppertal und Bochum entfernt, und ich schlief erst einmal ungewollt einige Stunden, am Ziel angekommen. Zwei Wochen Mittelmeer muss sein, sonst ist die Umstellung doch anstrengend, wenn man dort spielt. Das Konzert in Velbert war für mich ein Genuss und nicht so anstrengend wie in Calvi, wo man die Sonne und den Wind noch überall in seinem Körper spürt.
Die FeG Velbert sieht von außen wie eine kleine weiße Villa aus mitten in einer schönen ruhigen Wohngegend. Simone Ramshorn, Bildende Künstlerin, die als Künstlerin im Leitungskreis ist und Leben.live gegründet hat, mich vom RAD Künstlerbewegung her kennt, wo wir beide seit 5 Jahren tätig sind, ich im Bereich Musik, sie im Bereich Bildende Kunst, und eingeladen hat nach Velbert, gestaltete auch den Jugendbereich der FeG innen wunderschön und künstlerisch, zum Beispiel mit Styroporplatten bemalt in Weiß, Acryl in Tönen von hellem Terracotta, feeling aus dem Mittelmeerraum verbreitend, an die Wand geklebt, dass sie wie Gestein wirken an der Wand. Der kleine brandneue schwarze Kawai Stutzflügel, den ich einweihte, klang schön und nicht eng, wie ich (bei einem Stutzflügel) befürchtet hatte. Ich bekam einen riesigen Strauß Pfingstrosen und hellrosa Rosen, die Köpfe haben dick wie Pfirsiche. Die Pfingstrosen, die ihre Farbe ändern.

Nach dem Konzert saßen wir noch gemütlich unter der Marquise von Ramshorns im Garten und tranken Rotwein. Von Korsika war ich leider bereits gewöhnt, Wein (wie Wasser) zu trinken, glücklicherweise meistens Rosé. Freunde waren eingeladen und erzählten von ihren Reisen nach Neapel, Indien, Neuseeland. Für mich ist der Bruch zwischen klassischen Stücken — ich spielte Bach, Chopin, Franck und Haydn — und eigenen Stücken, Songs, die ich singe und spiele, Improvisationen und Lyrik vom Flügel aus gelesen mittlerweile normal geworden. Für viele Menschen aber ist dies ganz neu und sehr überraschend, für beide Seiten: für die Klassiker und auch für die, die sich kaum mit Klassik oder Musik beschäftigen. Morgen sind die Kinder dran. Ich freue mich vor allem über die vielen Kinder, die kommen werden mit Schlagzeug, Querflöte, Bongos, Cachon, Gitarre, auch klassischer Gitarre, und natürlich die kleinen und großen Pianisten. Natürlich bin ich auch gespannt auf Simones Atelier in der Stadt. Es macht mir Freude, zu Kunstwerken Lyrik oder Songs zu schreiben oder dazu frei zu improvisieren wie bei der KunstwerkWoche in Lungern, Schweiz, wo wir als Band spielten. Vielleicht werden wir uns nochmal in Schottland in einem Turm treffen und kreativ sein, abgeschieden vom normalen Leben wie im Künstlerdorf La Pigna bei Calvi.

12. Juni 2009

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Calvi

Calvi bei Nacht zu sehen, war ein schönes Erlebnis. Die kleine korsische Bahn ruh.t Die korsische Sprache, die so sehr nach Italien klingt, zeigt gesungen eine solche Kraft, einen Rhythmus, dass ich mit den Sternen über mir davontanzen möchte.
Sehe ich die kleinen Balkons der Korsen, wenn ich den Kopf in den Nacken lege, stelle ich mir vor, dort ein anderes Leben zu leben, vielleicht mit fünf Kindern auf engstem Raum. Als Evelyn, die in Pinea 10 Wochen gearbeitet hat und auch am Samstag zurückfliegt, und ich später am einsamen Strand auf den Felsen lagen, das Meer glucksend unter uns, über uns Hunderte von Sternen, konnte ich mir kaum vorstellen, dass die Sonne mehr oder weniger unter uns die Planeten gegenüber anleuchtet und der Kosmos das große Nichts ist — es geht bis dahin, dass ich mich frage, warum ich nicht angeleuchtet am Himmel zu sehen bin .. bin ich kein Planet? Tagsüber war es sehr heiß und windig, die Steine reflektierten noch die Wärme, wie die Planeten das Licht der Sonne reflektierten, doch es war schon recht kalt. Einige Sternschnuppen sanken dahin, vielleicht hatte ich sie zu leidenschaftlich angesehen, dass Sterne verglühten. Da ich gehört hatte, dass die Sterne zueinander in Intervallen geordnet sind und das ganze Universum singt, versuchte ich, die Intervalle zu hören, während ich nach oben sah, aber ich hörte sie nicht. In zwei Wochen habe ich ein Vorspiel an der Freiburger Musikhochschule, darauf freue ich mich schon; doch erst mal die Konzerte in Velbert.

Die Strandwanderung war ein Genuss: einsame Buchten und Strände inmitten der Maccia — es duftet, weil die Maccia mannshoch wächst: ein duftender Irrgarten aus blühendem Gestrüpp umrundet die Klippen, die von Sand, Meer und Wind über Jahrhunderte zu den kunstvollsten Formen geschliffen wurden: ein granitharter Felsen sah aus wie ein Krokodil, ein anderer wie ein Nashorn. Ich badete an zwei Stellen — einmal dort, wo es wellig war, die Wogen an die Steine zischten und das Wasser dunkel von Tang, und an einer ruhigen Stelle, wo es türkisgrün, hellblau und dann wieder dunkelblau war, in Schichten schillernd bis in die Ferne. Das Meer zeigt hier eine einzigartige Farbkombination. Mit meinen hohen offenen Bounce-MBT-Schuhen war es teilweise nicht leicht, steil abfallende Wege nach unten oder oben durch Kies und Schotter zu laufen. Durch die Sonne bin ich ziemlich braun geworden in dieser Woche. Zurück an unserem Heimatstrand schwamm ich mit einem Gast bis zur hintersten Boje, die einsam, schmutzig und gelb vor Anker lag. Ich dachte mir, nur keine Panik bekommen — es ist wie beim Klavierspielen — auf offener See schwimmen ohne Land in Sicht. Bekommt man Panik, wenn man so lange, mindestens 40 Minuten, auswendig spielt, geht man unter.
Das Klavierkonzert war ein Erfolg, Manfred Domrös, seit 30 Jahren im Hauskreis mit Manfred Siebald, leitete den Abend ein und zuende. Es tat gut, in Klimaanlage zu spielen, da sich die Sonne in mir drin zu befinden schien: ich fühlte mich heiß und müde an nach den Wanderungen. Es gab ein Blitzgewitter, weil jeder des Publikums uns mit unseren neuen, korsischen Kleidern fotografieren wollte. Unsere Zugabe war ein Tanz von Fauré. Chopin, Lyrik und Songs lieben die Leute am meisten.

10. Juni 2009

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La Pigna

Korsika kann man an seinem Duft erkennen … die Maccia mit seinen Hunderten verschiedener Pflanzen duftet selbst in die ruhigen dunklen Kirchen der Insel hinein. Sogar auf den Wellen des Mittelmeeres scheint sie zu thronen und zu duften. Wir sind gut in Calvi angekommen, die Süße der Mittelmeerluft empfing uns. Es hat sich viel verändert und doch eigentlich nichts. Erstaunlich war, dass mir alles viel kleiner vorkam, als wäre ich größer geworden; vielleicht innerlich größer. Es dauerte drei Tage, mich an das Klima zu gewöhnen; zunächst war ich erschöpft und müde und schlief täglich am Strand für einige Stunden ein. Jeden Morgen zu spielen war nicht so leicht, nachdem ich teilweise im Saal bis nachts um eins geübt hatte, um durch mein Wettbewerbsprogramm von 150 Minuten durchzukommen. Ein Stück von 42 Minuten Länge braucht zum Üben mindestens 90 Minuten. Nun merke ich, wie die duftende, warme Luft und das Gezwitscher der Vögel allmählich durch meine Schläfen in meine Sinne, mein Gehirn dringen und ich mich eingewöhne. Das Melancholische der Korsen und ihrer Musik gefällt mir und berührt mich. Ich liege am Strand, lese Georg Trakl und bin innerlich bewegt über seine Farben, die er über und über verwendet. Ich liege dort, spüre den Sand, höre die Wellen, ahne die Zitadelle, die über unsere Bucht ragt, und es kommt mir vor, als müsste ich seine Seele trösten und umarmen, sehne mich danach, mit ihm sprechen. Die Farbe Blau taucht immer wieder in seinen Gedichten auf, ebenfalls die Amsel: die Klage der Amsel, Gold und Silber. Man kann ihn sofort erkennen, ohne seinen Namen zu hören oder zu lesen. Natürlich schwimme ich auch, obwohl mir das Wasser selbst jetzt noch fast zu kalt ist — und geniesse den recht leeren Strand.

Das Künstlerdorf La Pigna mit seinen blauen Fensterläden, den steinigen Gassen und den herrlichen kleinen Restaurants mit den luxuriösen korsischen Gerichtchen in Tonschüsseln war ein Erlebnis nach dem anstrengenden Aufmarsch, zuerst durch Lumio und später steil vorbei an Feigenbäumen, Eukalyptusbäumen, Zitronenbäumen, Aprikosenbäumen, von denen wir pflückten, Salamandern und Schlangen, die ins Gebüsch huschten: es gab Kastanienkuchen, frisch gepressten Zitronensaft, Kichererbsenpüree mit frischem Olivenöl, Ziegenkäse mit Feigenmarmelade, korsischen Schinken, korsischen Wein, korsischen Käse, Orangenwein, Fourné. Wir waren eine kleine Gruppe von Pinea, ca. 30 Leute; unser Sprecher Manfred, Prof. aus Mainz, erzählte von Sri Lanka, und auch meine Mom hatte ihren Spaß bei der Wanderung. Freitagabend ist unser Konzert, Schlüter Duo und PianoLyrik, bei dem ich Bach, Chopin, Haydn und Franck spielen, Gedichte lesen und als Zugabe eigene Lieder singen werde — und vorher ist unser vierhändiges Programm. Auch hier schreibe ich Gedichte am Strand. Tagsüber sitze ich meistens am Wasser und lese die musikwissenschaftlichen Bücher, momentan über Bachs Goldberg Variationen und über Bachs Leben, bin teilweise erschrocken, mit was für einer Absolutheit einige Wissenschaftler über tote Komponisten schreiben, wobei vieles einfach schlicht ihre eigene Meinung ist, sei es über Interpretation, sei es Analyse oder Vergleich von Werken — bei lebendigen Komponisten könnten sie sich das nie herausnehmen. Einige Texte scheinen in Konkurrenz zum Werk an sich stehen zu wollen, was mir recht absurd vorkommt. Dennoch lerne ich viel daraus. Die Open-Air-Andachten zu gestalten und musikalisch zu begleiten, macht mir viel Spaß. Unser Apartment am Meer ist gemütlich, mit Balkon und Sicht über die Pinien zur Zitadelle, auf dem wir Fisch und blauschwarze Pfahlmuscheln mit Zitrone, Butter und Baguette essen. Die Korsen aber waren und sind eigentlich Hirten, keine Fischer. Ihre Schafe sind überall auf dem spärlich bewohnten, hügeligen, bergigen, herrlichen Land zu sehen.

01. Juni 2009

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Kunst und Wissenschaft

Es ist schön zu wissen, dass die Wissenschaftlerinnen und Künstler in der ganzen Welt verteilt sind und wir kommunizieren können. Es gibt keinen Kanon in der Kunst und Wissenschaft, jeder ist selbst auf der Suche. Wissenschaft bzw. Forschung hat viel mit dem zu tun, wie man selbst ist — und Forschung wiederum ist bereits Kunst. Es ist dazu wirklich wichtig, in der künstlerischen Entwicklung viele Sprachen zu lernen. Ich vermische manchmal ins Schwedische Englisch hinein. Die Sprachmelodie ist eine Welt für sich.

25. Mai 2009

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Bremerhaven

Von den bulgarischen Sängern erfuhr ich, dass Russland ihr Alphabet übernommen hätte und dass wir Deutsche in Wien Piefke heissen. Um uns herum lag ein ruhiges internationales Bremerhaven, dass offensichtlich nicht daran interessiert war, 60 Jahre Grundgesetz zu feiern.
Am nächsten Tag besuchte ich das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. Ich verbrachte dort fast drei Stunden und hätte beinahe meinen Zug verpasst- es war ein Wunder, dass ich ihn noch erwischt hatte — ich kam 12:32 am Bahnhof an, und mein Zug ging um 12:28.

Aber dieses Museum zeigte mir, was der Sinn eines Museums ist, da Fernweh, Heimweh und die Suche nach Heimat an persönlichen Einzelschicksalen aufgezeigt wurden. Atmosphäre und Stimmung mischten sich mit Information. Über sieben Millionen Menschen sind bis heute ausgewandert oder geflüchtet, in grossen Emigrations-Schiffen, aus Bremerhaven auslaufend. Noch nie hatte ich das Ausmaß des Zweiten Weltkrieges so deutlich verstanden wie an diesem Morgen, obwohl ich mich nun so eingehend jahrelang mit den Weltkriegen und Deutschlands Geschichte beschäftigt hatte. Ich musste drei mal weinen in diesem Museum, vor allem, als ich ankam in der Neuen Welt, in den USA, und Dvoraks Sinfonie Neue Welt lief. Ich bemühte mich, alle Schicksale zu hören; es dauerte sehr lang. Ein Leben berührte mich besonders, das Leben einer jungen Ärztin, die 1933 alles verloren hatte und um das Leben ihrer Kinder bangen musste. Sie hatten kein Geld, obwohl sie reich war; die Nachbarsländer und Grenzen waren zu und selbst, als jedes Jahr lebensgefährlich wurde, bestand die USA auf Wartezeiten, Papiere und Bürgschaften zur Einreise. Dennoch hatten sie es geschafft nach Jahren der Qual, und sie standen vor dem Nichts, als sie endlich in den USA ankamen. Selbst die Schiffsüberfahrt war ein Tortur. Auf der Freiheitsstatue stand: Willkommen, ihr Massen an Sehnsucht, ihr, die keiner sonst will. Ich war berührt von dem Mut dieser Frau. — Ich kann nachvollziehen ein Stück weit, was es bedeutet, alles zu verlieren, machtlos zu sein, loslassen zu müssen, vor dem Nichts zu stehen, keine Vergeltung fordern zu können, keine Gerechtigkeit zu spüren und dennoch das Land zu lieben, zu brauchen. Und dabei war es noch das Leben, mit dem sie davon kamen. Andere verloren selbst das. Wer war diese Frau? Da ich keinen Stift hatte, wollte ich mir ihren Namen merken — dann stellte ich fest, dass zufällig genau ihr Name auf meiner Eintrittskarte stand — denn, das hatte ich vergessen, jeder war einer bestimmten Person von damals zugeteilt worden. Ihr Name ist Hertha Nathorff.

23. Mai 2009

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Ich höre Erschaffung

An Materialien für Kunst liebe ich Seide, Gold, Leder, Haar, Acryl und Öl. Morgen besuchen wir das Auswandererhaus in Bremerhaven und heute Abend die Operette Vogelhändler, die Ara dirigiert: die Abschlußvorstellung von dem Bassisten Klaus Damm, die dernière (letze Vorstellung).

Abends ging ich erst einmal auf Uhrenjagd. Anna sagte, sie könne es nicht glauben, dass ich noch die Uhr aus dem Badezimmer höre. Es gibt Geräusche, die ich sehr gerne höre beim Schlafen: Wind, Sturm, Regen oder das gleichmässige Schnurren in Autos und Zügen.

Linie 1 ist ein berührendes und schockierendes Musical. Die Theatermaler malten in den Werkstätten des Theaters Graffity-Wände, die Techniker bauten eine U-Bahn mit Licht und Geräuschen aus Berlin, der Tonmeister nimmt die Geräusche auf — das allein, all die Requistiten sind Kunst und Kreativität pur.

Die Menschen hier haben Theaterwissenschaften, Kulturwissenschaften und Medienwissenschaften studiert.

In der Pause saßen wir mit der Band des Musicals in der Theaterkantine. Ich mag den Nachgeschmack von Balisto. Viele Schauspielerinnen haben einen Gastvertrag. Ara hat das meiste mit den Schauspielern einstudiert, die auch singen und tanzen müssen und oft keine Noten lesen können.

Die Männer spielen gerne Frauen. Es ist unheimlich, wenn eine solche ‘Frau’ riesig und geschminkt auf mich zukommt. Sie verlieren sich im unendlich Weiblichen, sagen sie, und sind sehr erfreut, eine Frau zu sein.

Es gibt einige Schauspieler, die noch mit 65 in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen. Für Neue Kunst, egal, welche Form, ist es oft nicht leicht, die richtige Grenze zu finden zwischen Provokation und Pornographie. Manchmal braucht es aber auch einen mutigen Schritt aus dem Alten heraus. Überhaupt braucht es unbedingt Mut zur Kunst. Seine Hände tropfen mit Geschichte. Und auch ich suche. Dadurch ist mir die Mathematik sehr sympathisch geworden. Sie ist Musik. Sie entfaltet sich erst im Rhythmus, wenn sie den Herzschlag schlagen kann. Und besonders im menschlichen Gesang findet sie Erfüllung, im Weichen, Persönlichen, Verletzlichen. Mathematik ist nicht dazu da, unpersönlich und abstrakt zu sein.

22. Mai 2009

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Nordseeküste

Bremerhaven ist wie ein Kurort, ein Bad — teure Hotels und Restaurants, moderne Architektur, die roten Straßensteine wie auf den Nordsee-Inseln, salzige Meeresluft, das Meer, das die Gerüche von Dänemark, Schweden und vom Baltikum herüberträgt — man ist schwerlich noch in Deutschland. Ich kann an diesen Meeres-Gerüchen erkennen, wie sehr sich Deutschland und Europa vermischen, dass es einmal nur noch Europa gibt. Das tut mir auch weh.

Zuerst möchte ich immer das Meer sehen. Das Meer ist für mich eine solche Offenheit, dass die Einsamkeit darin nicht mehr schmerzlich ist. Es war sehr windig, als ich es endlich sah am Abend des Tages, und die Sonne ging gerade unter, rot und ruhig, kurz nach neun Uhr abends. Es ist mir unbegreiflich, wie schnell die Sonne untergeht, wenn sie einen bestimmten Punkt erreicht hat.

Die Nordsee, viel salziger als die Ostsee, küsst irgendwo um Schweden unten herum die Ostsee. Im ICE nach Bremerhaven ist mir, wie oft, passiert, dass ich ins Gespräch komme mit meiner Nachbarin, diesmal einer Schauspielerin aus München mit einem niedlichen Hund — dann kaufte sie spontan eine CD von mir.

Zunächst sah ich in Bremerhaven das Stadttheater, recht rund, weiß und groß, und spielte mich hinten im Zimmer des Solorepetitors und Kapellmeisters ein, einem guten Freund aus der Musikhochschule Würzburg, ein Grieche. Das Theater ist nah am Hafen, am Strand, und das Fenster stand auf. Hinter den Kulissen herrscht ein anderes künstlerisches Treiben von Orchestermusikern, Sängern, Tänzern und Schauspielerinnen, den Dirigenten und den Korrepetitoren, die die ganze Einstudierung sorgfältig übernehmen, und die Techniker, die Leiter. Das ist das dritte Mal in diesem Jahr, dass ich hinter den Kulissen eines Opernhauses lief oder spielte, in Nürnberg, Riga und Bremerhaven. Natürlich habe ich Würzburg nicht mit eingerechnet. All diese Häuser sind auch ähnlich, bis auf Würzburg. Was genau die Unterschiede zwischen Staatstheater, Stadttheater und Oper sind… In Würzburg ist das Theater eher wie ein flaches Kino mit niedrigem Luftdruck. Aber das Wichtige passiert innen.
Reife ist etwas Sensibles und nichts Festgelegtes.
In der modernen Oper Melusine von Reimann saßen wir in der 2. Reihe. Die zeitgenössische Musik ummantelt den Zeitgeist deutlich — Menschen, die nicht vertraut mit Oper und schon gar nicht mit Neuer Musik sind, schauen sich erst einmal irritiert um, ob dies alles seine Richtigkeit habe. Ich persönlich finde Neue Musik sehr interessant. Auch ich musste diesmal mein Programmheft währenddessen im Dunkeln lesen, obwohl ich die Oper in- und auswendig kennt. Es ist schön, die Menschen, die man kennengelernt hat, hinter den Kulissen plötzlich verwandelt auf der Bühne zu sehen. Künstler sind ein Geheimnis, sie gehen weit über das Irdische hinaus, da Kreativität nicht irdisch ist.

Es war wieder Aras Raum mit dem Yamaha-Flügel, an dem kein Klavierstuhl steht, sondern ein Drehstuhl. Es war ein Wunder, dass ich beim Spielen nicht wegrollte. An den Türen sind große Walfischaugen, kreisrunde Fenster, Bullaugen wie auf einem Schiff. Man sagte, man kann an meinem Klavierspiel hören, dass ich Lyrikerin sei, allein an meinen Händen, an meinem Anschlag könne man es sehen. Er hatte sich so gesetzt, dass er meine Hände sehen konnte. Er sagte, im Klang zwischen meinen Fingerkuppen auf den Tasten sei Leidenschaft. Er möge weder das Donnern noch das Säuseln mancher Pianisten. Ich würde das große Bild erkennen, Lyrik mit Rückgrat und Tiefe spielen, glockenhell und auch mit tiefem Bass, er würde selten so eine Energie in Lyrik hören. Er wollte auch meine Nationalität wissen, er dachte vielleicht, ich sei Schwedin und spreche sehr gut Deutsch. Da ich vorher in dem Raum geübt habe einige Stunden am Vormittag, habe ich barfuß Pedal getreten. Anschließend aßen wir in der Kantine des Theaters. Währenddessen läuft auf einem Bildschirm die Bühnenprobe, Durchsagen sind ein normales Hintergrundgeräusch. Es ist schön, wenn Technik und Kunst dicht zusammenfallen — das ist bei Kunst immer der Fall.

19. Mai 2009

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Augenbeute

Es ist schön, Konzerte in meiner nahen Umgebung, in meiner Heimat zu geben: Konzert-Blumen, die ich direkt mitnehmen kann, nach dem Essengehen gleich heimfahren können, nachbestellte CDs abgeben, wenn ich nicht genügend dabei hatte — sehr entspannt. Allerdings bin ich auch gern Gast in grossen Städten wie Berlin. Übermorgen nach meinem Vormittagskonzert treffe ich den Chef der Stadthalle Bremerhaven. Anschließend bin ich in Stuttgart bei meiner Schwester und besuche Kollegen, schaue mir eine TV Sendung hinter den Kulissen an. Danach spiele ich Filmmusik mit Schauspielern vom Bayerischen Fernsehen ein. Aber all dies läuft nebenbei, da ich für Wettbewerbe übe und nach einem Jahr meine Magisterarbeit für Musikwissenschaft schreibe. Die Analyse der Werke habe ich meistens in den Fingern, als ob diese mein Mund wären und sprechen könnten. Analyse ist Mund. Hören ist wichtig.

Meine Augenfarbe wechselt je nach Licht und Stimmung.