26. August 2022: Man muss Neues machen, um Neues zu sehen. (Lichtenberg)
Jede angewandte Kunst ist beseelter Hände Werk. Auch die Musik, die in der Seele geboren wurde, braucht zu ihrer Lautwerdung des Menschen Hand. Sie braucht die Hand der Musiker, die wiederum beseelt sein muss, damit jene vollendet laut werde. (Schmitthenner, Architekt) Wie wunderschön formuliert!
Heute erinnere ich an Frieda Belinfante, Cellistin. Künstlerinnen müssen wagemutig sein.
Foto: Späth Orgel in der Pfalz
Bad Sobernheim, Hunsrück
Wir fuhren heute von Simmern nach Bad Sobernheim im Rheinland zur Stumm Orgel von 1939 in der besonderen, evangelischen Kirche dort. Dunkel, mit bunten leuchtenden, blauroten Fenstern, beinahe kindlich bemalter Decke mit Blumen und Insekten, und kleinem Flügel in der Ecke – und fast ebenerdig, sehr tief hängend die Wahnsinns-Orgel mit geschmücktem Rückpositiv, der Blickfang der Kirche. Kindlichkeit und Heiligkeit gehören zusammen.
Auch diese Stumm-Orgel besitzt ein sehr kleines Pedal, nach hinten abfallend, leicht versetzt, eng, kurze Tasten. Kurzum: nicht leicht zu spielen. Nur Spitze möglich, und es muss alles arrangiert und umgedacht werden, so auch in Simmern, wenn man große Bach-Werke spielen will. Hier aufgrund des Rückpositivs nicht seitenspielig. HW 2. M. Schöne Zungen, auch im Pedal. Jede Stumm hat Wumms.
Meist stehen die Pedalpfeifen und die Bälge direkt hinter dem Prospekt. Und man kann den Wind treten nahe bei den Stumm-Orgeln. Es ist schön, wenn kein Motor surrt. Und auch die Mixturen sind mit handgeschöpftem Wind weicher und milder. Aber eins ist klar: Wind schöpfen ist anstrengend. Ich schaffe das nicht, die Holzstangen runterzudrücken, schon gar nicht die per Hand bzw. per Arm. Man braucht viel Kraft.
Merxheim, Hunsrück
Dann fuhren wir zur Stumm Orgel in Merxheim von 1886, die bisher jüngste Stumm. Schlichte, evangelische Kirche. Es ist nicht so leicht, eine Handschrift bei Stumm-Orgeln zu erkennen, da diese Orgeln über viele Generationen gehen. Genauso bei Klais: 4 Generationen, sämtliche Trends mitgemacht. An den Prospekten erkennt man Stumm-Orgeln überhaupt nicht.
Diese 6 Stumm-Orgeln der letzten Tage sahen jeweils komplett anders aus und klangen auch ganz anders. Diese hier war klein, 2 Manuale, seitenspielig, und besitzt einen spitzen braunen Prospekt, mechanische Schleifladen, 3 Flachfelder mit 9 Pfeifen, alles Handwerk. Eine süffig-romantische Orgel, sehr schwergängig, besonders das 2. Manual. In einer langen Reihe die Registerzüge über den Tasten. Und was ich noch nie gesehen habe: Das Pult war oberhalb dieser Register-Reihe, also weit oben.
Recht häufig kam also vor: Seitenspieligkeit, Tremulant, Zunge, Traversflöte (wenn nicht verwurmt), HW im 2. Manual, sehr kleines Pedal.
Die Schwergängigkeit war schon bedenklich. Koppeln geradezu crazy. Jedoch: Warme Farben in wunderschöner Akustik. Ich habe nichts gegen schwergängige Orgeln. Im Gegenteil. Ich liebe schwergängige Orgeln. Und es müssen auch nicht immer zig besondere Farben sein. Warum? Es muss ja nicht immer bunt sein. Der Guss und der Fluss bestimmter ausgewählter romantischer Farben ist manchmal genau das, was es braucht, was ich will. ❤️
Altweidelbach, Hunsrück
Anschliessend spielten wir die seitenspielige Stumm-Orgel von 1796 in Altweidelbach, 1 Manual, kleines Pedal, kleine evangelische Kirche. Orgel: Wenig Umfang insgesamt, aber warme Klänge, fast komplett erhalten. Das Besondere hier: Der kleine, verschnörkelte Prospekt ist direkt in die Brüstung eingebaut! Das habe ich so noch nie gesehen. Diese kleine feine Orgel ist Teil der Brüstung, was typisch ist für Stumm, daher ist die Seitenspieligkeit natürlich unumgänglich. Diese ist nicht immer leicht, da manche Klänge von fern und andere von nah kommen und das klangliche Gesamtbild oben am Spieltisch ungleichmäßig wirken kann.
Und immer gibt es Trompete und Tremulant, egal, wie klein. Die Registerzüge befinden sich in einer langen Reihe oberhalb der Tastatur mit Handschrift. Und auch besonders: Man läuft durch die Orgel hindurch, an den in Ochsenblut getauchten, stehenden Pedalholzpfeifen und den Bälgen vorbei hin zum Spieltisch.
Haydn und Mozart sind hier schön zu spielen, aber auch alles manualiter oder Stücke für Positiv etc. – auch französische Musik.
Stumms wunderbare Traversflöten waren leider aus Obstholz, Birnenholz, was die Würmer lieben.
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