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Schwedische Orgelmusik

Schlesien

Es ist schön hier: Ein altes leeres Kloster und seine Ruinen und Säle bei Lubaz, 30 km von Legnica; das Kloster heisst Opactwo Cysterskie. Es soll sehr beruehmt sein. Wir fuhren ueber Chemnitz und Goerlitz nach Liegnitz, alles war bis Breslau einmal deutsch gewesen. 6000 junge Leute, hauptsaechlich Polen, aber auch Deutsche, Oesterreicher, Neuseelaender, Norweger, Amerikaner, Tschechen, Kroaten, Schweizer kommen zusammen, alle Raeume und Wiesen erobert und grosse Zelte aufgebaut haben, um gemeinsam Kunst und Musik zu machen. Ich bin voellig hingerissen, so stelle ich mir ein wenig den Himmel vor. Da sitzen sie alle, malen, jazzen, singen, bauchtanzen, machen Musik, jonglieren, rappen, zeichnen, tanzen, trinken Kaffee, und mittendrin sitze ich und spiele Bach und eigene Songs und Chopin. Im Ausland glaubt man nicht, dass ich Deutsche bin, sie denken sofort an Skandinavien.
Ich genoss die Musik, als wuerde meine Seele an der Zeltwand haengen, als wuerde mein Geist auf meinem Herz liegend die duennen luftigen, gelbgrauen Zeltwaende beruehren.

Das Gefuehl von internationaler Gemeinschaft sensibler Menschen, die suchen, aktiv und leidenschaftlich sind und auf einem Gelaende zusammenkommen und wohnen und essen, und dann gemeinsam singen, erfuellt mich jedes Mal mit Ruehrung, dass das Unsichtbare auf das Sichtbare trifft, und ich kann Unsichtbares sehen und Sichtbares hoeren und fuehlen. Alles nehme ich ueberstark wahr, dass auch meine Haut unter Strom steht. Der juedischen Jazzer Paul Zarecki, der ein weites Herz hat, Bzim, so wie er genannt wird, hat recht: Es gibt c-Moll, und es gibt ein c-Moll-Universum, und ohne Skalen geht es eben nicht. Er sagte mir, ich brauche keine passion, ich brauche patience, und BIBLE sei Basic Instruction Before Leaving Earth. So wie er es aussprach mit seinem Akzent, hoerte es sich fast gleich an. Ich mag Zelte, da ich darin das Gefuehl habe, sowohl drinnen als auch draussen zu sein.

01. Juni 2009

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Kunst und Wissenschaft

Es ist schön zu wissen, dass die Wissenschaftlerinnen und Künstler in der ganzen Welt verteilt sind und wir kommunizieren können. Es gibt keinen Kanon in der Kunst und Wissenschaft, jeder ist selbst auf der Suche. Wissenschaft bzw. Forschung hat viel mit dem zu tun, wie man selbst ist — und Forschung wiederum ist bereits Kunst. Es ist dazu wirklich wichtig, in der künstlerischen Entwicklung viele Sprachen zu lernen. Ich vermische manchmal ins Schwedische Englisch hinein. Die Sprachmelodie ist eine Welt für sich.

Wir sind hörende Wesen

Wenn ich dachte, dass im künstlerischen Bereich viel Konkurrenz sei, da habe ich nicht gewusst, was für ein Konkurrenzdruck im wissenschaftlichen Bereich vorliegt.

Gerade die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft finde ich spannend, auch zwischen der historischen und der systematischen oder psychologischen Musikwissenschaft von Universität und Musikhochschule.

Riga, Lettland

Am Abend des Tages war Feuerwerk in Riga, da dies der Erinnerungsabend des Sieges der Russen ist, und in langen Märschen marschierten die Russen teils sehr betrunken und schreiend zum Siegesdenkmal. Das ist schwer für Lettland, zu ertragen. Sie fürchten sich oft und bleiben in ihren Häusern, vor allem die Mädchen und Frauen. Ich finde es schade und traurig, vor allem, weil es so viele ganz junge Russen sind, die durch die Stadt laufen, „Nacija“ schreien, singen und rote Flaggen schwingen. Zuerst dachte ich, sie schreien Vacija, was Deutschland heisst. Manche Letten sagen, sie würden sofort erkennen, ob jemand russisch ist, andere sagen, das sei unmöglich. Aber die russische Sprache ist viel dominanter und härter als Lettisch, und es ist schwer für Lettland zu vergessen, was Russland Lettland angetan hat, und wie groß, nah und gefährlich Russland nach wie vor für sie ist und präsent im eigenen Land, in Lettland. Es ist unsicher, auf nächste Generationen zu warten, die anders sein könnten, wenn so viel Hunger da ist auf jedem Gebiet, vor allem in der Krise. Aber ich sehe auch eine Leidenschaft in den Augen der Letten, eine Wildheit, die ich oft woanders sehr vermisse, dort, wo es immer brav und nach denselben Regeln zugeht, ohne Entscheidendes zu verändern. Auch Zaiga hatte Angst, da dies eine organisierte Feier ist. Als ich nach Hause kam und singend das Treppenhaus hochlief, lief Ilze mir warnend entgegen, eine betrunkene Frau läge im Treppenhaus und schlief. Wir weckten sie, aber sie konnte nichts sprechen und schlief sofort wieder ein.

Heute fand die Improvisations Meisterklasse auch in der Musikakademie statt, da dort die Kokles in einem Extra-Raum stehen. Wir improvisierten diesmal direkt in einer größeren Gruppe mit zwei Kokles, Akkordeon, Klavier, Geige und Gesang — eine solche Kombination habe ich noch nicht erlebt. Mir sind die Tränen gekommen. Warum wird etwas so Wichtiges und Schönes so selten gemacht? Besonders als die Geigerin einsetzte, konnte ich mich kaum beherrschen. Ich habe das Gefühl, ich bin durch eine neue Tür hindurchgegangen. Es ist emotional sehr anstrengend für mich, höre, leite, führe, aber möchte und muss gleichzeitig vor allem anleiten, dass die jungen Musiker vor Ort selbst wissen, wie sie sich führen können.
Wir sprechen viel in meinem Improvisationskurs miteinander, da durch die Musik so viel ausgelöst wird. Ich war erstaunt, die ‘Mutter’ des Kokles zu sehen: eine Art Holz-Zither, wie eine Gitarre klingend, ein uraltes Instrument, vielleicht das Instrument Davids, ein nationales Instrument, das das Herz der kleinen Nation trägt.

Auch Finnland hat ein ähnliches Instrument, allerdings chromatisch. Kokle selbst wird nun sogar mit Mikrofonen gebaut und mit Klappen, damit es lauter klingt, und ist ein diatonisches Instrument. Natalija spielte uns ihre eigenen Stücke vor, Stücke, wie die Letten von den Russen nach Sibirieren verbannt worden sind, so wie Israel damals nach Babylon verbannt wurde, und wie sie zurückkamen. Auch mich bewegte das sehr, denn auch ich fühle mich manchmal als Künstlerin verbannt und warte auf Leben und Gerechtigkeit. Ich habe erlebt, dass Menschen, die kein Instrument spielen und Zweifler sind, so wunderschön improvisiert haben, dass ich fast weinen musste, denn sie haben eine Offenheit, eine Ehrlichkeit, eine kindliche Art zu suchen, die notwendig ist, um Kreativität ‘zu holen’. Sie verbannen Scheu und unguten Ehrgeiz. Die Musik rollt irgendwann von allein.