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Klavier

4. Oktober 2024: Beneide ich die kecke Tastatur, die küssen darf das Inn’re deiner Hand. (Shakespeare)

Heute erinnere ich an Jehanne de Crotot, die 1347 als „Hexe“ angeklagt wurde, weil sie eine Geigerin war, die Männer mit ihrem Spiel verzauberte. Es gab eine Zeit, die uns noch heute prägt, in der Frauen nicht nur von der Kirche, sondern auch vor Gericht zerstört wurden, die Hand in Hand gingen, sogenannte „Spielleute“, besonders musizierende Spielfrauen (jongleresses) zu verteufeln, sie zu ächten, rechtlos zu machen. Frauen durften weder gelehrt sein noch wissen. Berufsmusikerinnen galten als „triebhaft“. Frauen würden „wilde Musik“ machen. So weiß ich, was die Wurzel ist, was ich auch 2024 manchmal erlebe.

Dass Musik oft nur Hintergrund ist, war auch im 18. Jahrhundert nicht anders. Die Orchester mussten pp spielen, damit die Männer beim Kartenspiel nicht gestört wurden. Musik war auch damals oft nur Klangkulisse, Nervenbalsam im höfischen Banausentum. Dieses höfische Banausentum ist heute längst zu ganz normalem Alltags-Banausentum ausgeartet.

Und ich erinnere an Maria Gabriella Sagheddu (1914).

3. Oktober 2024: Die Deutschen lassen sich leicht unter eine Hut bringen; aber unter einen, schwer. (Ludwig Börne)

Tag der Deutschen Einheit. ❤️

Dass das Klavier das Instrument sei, das zugleich Zuspruch und Zorn erfährt, stimmt zwar, aber mehr noch die Orgel. Es gibt einige instrumentalkritische Menschen in der Kirche. Doch was vor allem lange verteufelt wurde, war das weibliche Musizieren und Singen in der Kirche, welches als Zauberei galt, als Magie und als unzüchtig.
Frauen bekamen ein Schweigegebot. Was daran besonders schlimm ist: Es hat bis heute geistlichen Impact und muss immer noch irgendwie durchbrochen werden, was man der überwiegenden Zahl Männern an der Orgel erkennt.
In der Bibel ist von Tanzen, Jubeln und Singen die Rede, die Kirche aber hat oft einen männlichen Trauer- und Machtverein daraus gemacht. Von der Unzucht der Männer ganz zu schweigen.
Heute erinnere ich an Marina Munken und an Caroline von Schelling.

Kunst ist immer mehr als Entertainment und Unterhaltungsprogramm. Die Orgel ist zwar nicht so athletisch und stürmisch wie das Klavier, sie braucht mehr Ruhe. Dies bedeutet aber nicht, dass sie langweilig, laut, Krawall und pompös ist. Kunst ist Wissen. Aber je mehr frau weiß, desto erschreckender sind viele Zusammenhänge, auch in Sachen Musik.

2. Oktober 2024: Sexualität ist heilig und von Gott geschenkt. (Timothy Keller)

Foto: Walcker Orgel Stuttgart

Was ist Sieg? Schwaches besiegt das Starke. Weiches besiegt das Harte. (Laozi) Das ist Sieg. Gewinnen ist der Abend vor dem Verlieren. Das ist nicht Sieg.

Ich aber lese den erstaunlichen Jean-Paul Sartre, der den Nobelpreis abgelehnt hat (!) und der erkannte: Menschen begeben sich aus freien Stücken in die Hölle (Geschlossene Gesellschaft). Ganz so leicht ist das mit den „freien Stücken“ buchstäblich nicht. Aber es ist definitiv Sieg, Teufelskreise zu durchbrechen.

1. Oktober 2024: Die Kirche ist eine alte Frau mit vielen Runzeln und Falten. (Karl Rahner) 

Foto: Konzert Menden

Schon Oktober! 
Es regnet und ist recht warm.

Ich lese Natalia Ginzburg. 

Danielle Roster schreibt, dass Frauen aus der Musik schon seit dem frühesten Mittelalter ausgeschlossen und verdrängt wurden, da sie als „Inkarnation der Sexualität“ aufgefasst wurden, besonders, wenn sie sangen und spielten. Da würde sich „die ganze Wut der Leidenschaft entfesseln“ („Kirchenvater“ Basileus). In der Musikwissenschaft würde das Verhältnis Sexualität und Musik immer noch kaum diskutiert.

Besonders die Kirche trug dazu bei, dass singende Frauen, Komponistinnen und Musikerinnen als „schamlos“ im Sinne von „verführerisch“ (Bischof Hippolytus) galten. Heute hat dieses Denken andere Züge angenommen, ist aber ähnlich geblieben. Dies zeigt sich schon im Musik-Studium.

Ich finde, gute Ideen sind ebenso unvermeidlich wie gute Melodien. Man muss abwarten können, bis die Kraft einer Idee, deren Zeit gekommen ist, zupackt und durchbricht in Bewegung und Antrieb. Ideen sind eine Währung, und ich beschloss, sie einzusetzen. 

29. September 2024: Denk doch mal, ein Klavier. Die Tasten fangen an, hören auf. (Alessandro Baricco)

Foto: Alexanderkirche Ott Orgel

Ich lese Flugasche von Monika Maron. Heute erinnere ich an die Poetinnen Ricarda Huch und Ina Seidel. Bin wieder zurück von Konzert. Nun gehe ich ins Bett. Mein Herz ist voll mit Zeugs. 

Das Leben an sich ist ein Kunstwerk, in der Verschmelzung von Gottes Plan, der Menschen Empfinden, Tun, Leiden, wie eine Architektur, als sei jedes Leben eine Art Kathedrale. Das Netzwerk der einzelnen Leben ist kaum zu erfassen und komplex und hat immer die wichtigste Zutat: Odem. Wir reihen uns ein, wie eine Schar erleuchteter Autos auf dem Weg zum Event, eine Armee mit dem gleichen Ziel, mit der selben Dringlichkeit. Wir führen, wir folgen. Wir fahren Umwege, wir fahren durchs Labyrinth. Hallo Menschheit, wie geht es dir?

29. September 2024: Eine Frau muss doppelt so gut wie ein Mann sein, um halb so weit zu kommen. (Fannie Hurst)

Foto: Alexanderkirche Ott Orgel

Saarland und Pfalz, klein und dicht beieinander, mag ich gern. Der Rosengarten in Zweibrücken mit See, Palmen, Laube und exotischen Vögeln ist wunderschön und war im goldenen Abendlicht kurz vor dem Konzert ein Genuss. Viele wissen hier, dass ich bei Bernd Glemser Konzertexamen Klavier studiert habe, denn Bernd Glemser ist in Saarbrücken sehr bekannt. Als Frau ist es dennoch noch immer nicht leicht, selbst 2024 nicht – abgesehen davon, dass Profi-Musik ohnehin ein „hartes Geschäft“ ist – manchmal haben Kollegen Sorge, mit mir irgendwo hinzugehen, weil ich eine Frau bin, und dann getratscht wird, „xy war mit junger Frau im Park gesehen worden“. Als Mann wäre das alles kein Problem.

Das Konzert hat mir Spaß gemacht. Presse war da und es wurde gefilmt. Manchmal filmen und fotografieren mich Leute aber ohne Erlaubnis. 

Man braucht viel Askese, um in der Konzertwelt erfolgreich zu sein. Gleichzeitig bin ich nach Konzerten beinahe „hellhörig“ oder übersinnlich … als hätte ich dann nicht nur einen sechsten, sondern auch einen siebten Sinn. Ich sitze dann vor dem Feuer bei Gastgebern, und alles in meinem Kopf ist Farbe und Feuer. Ich liebe das Gefühl und den Zustand direkt nach Konzerten. Askese und Sinnlichkeit explodieren in einen dämmrigen, entspannten Zustand der Zufriedenheit. 

Ott Orgel Alexanderkirche Zweibrücken, Pfalz

26. September 2024: Das ganze Weltall gehorcht Gott. (Joseph Joubert)

Foto: Zweibrücken Ott-Orgel

Ist es nicht erstaunlich, dass Gott erlaubt, dass das ganze Weltall macht, was er sagt, aber uns winzigen Menschen erlaubt, komplett ungehorsam zu sein? Das ist für viele nicht zu fassen. 

Bin in der Pfalz angekommen. Das letzte Mal habe ich hier an der großen Rieger-Orgel konzertiert.

Sehr schöne Alexanderkirche nah Heilig Kreuz, wo mein Konzert 2020 war, nachts angestrahlt. Es war schön, auch hier zu spielen. Freue mich auf mein Konzert jetzt 2024 und den wunderbaren Rosengarten dort.

Das Besondere ist, dass man die Register hochschnellen, hochschnipsen lassen muss. Das Schwellwerk besitzt viele Farben und Zungen, die eher weder geschwellt noch tremoliert gehören. Aber das ist spannend. Die Zahlen der Register sind quer angegeben.

Heute erinnere ich an Karl May. Das war kein Amerikaner, sondern eine kreative deutsche Haut aus Sachsen, der ein völlig neues Genre gründete und sogar komponierte! Darüber unterhielt man mich auf der Autofahrt zur Kirche. Ob man nun Indianerbücher und Indianerfilme mag oder nicht … den Namen Karl May kennt jede, und auch ich habe Bücher von ihm. Doch Karl May hatte (um 1880 herum) Neider und Feinde, die ihm an den Kragen wollten.

Er, der heute Milliadär wäre, einer der meist gelesene deutsche Schriftsteller, war damals bettelarm. Dass er nicht „im Wilden Westen“ war und dennoch solche Romane schreiben konnte, ist keine Hochstapelei, sondern ein enormes Talent. Manche neidischen Bürger verwechseln aussergewöhnliche Begabung mit Betrug – weil sie sich nicht mal ansatzweise vorstellen können, was es für Gaben gibt, die sie selbst nicht besitzen. 

Ott Orgel Alexanderkirche Zweibrücken, Pfalz

26. September 2024: Schmerz ist der Prüfstand allen geistlichen Fortschritts. (Joyce Meyer)

Foto: St. Johannis Würzburg

Heute erinnere ich an Nikolaus von Flüe.

Ich freue mich auch auf mein Konzert an der großen Merseburger Dom-Orgel. 
Ich lese gern Kierkegaard. Er schreibt viel Kluges über Tod und Verzweiflung. Es kommt mir so vor, als schreibe er, dass wir Menschen Protest-Leute gegen den Tod sind. Dass Vertrauen Wachstum ist. Dass Menschen oft nicht wissen, wer sie sind. Dass wir viel Wille, wenig Selbst haben. 
 
 
 
 

25. September 2024: It‘s easier to be creative than obedient. Creativity requires planning, but obedience in God requires listening. (Bob Sorge)

Foto: Konzert Linz

Wer fühlen will, muss hören. Vision zu leben ist etwas Besonderes. Es ist schwer im Sinne von tief. Manchmal kann die eigene Vision weit weg sein von dem, was die eigentliche Vision ist, siehe Saulus, der Paulus wurde. Da war nicht Raum für beide. Saulus musste verschwinden. Die falsche oder alte Vision muss ausbluten. Truth weighs a lot. Aber unsere Verfehlungen ist der Liebe nicht gewachsen. 
Heute erinnere ich an Konrad Duden.

Um was geht es in Vision und Mission? Um alles:

If you are not willing to stand alone, don‘t stand up. You will be forced by Heaven to stand alone for what Heaven has told you. Cutting and bleeding edge. Whereever blood and offerings are shed for a vision, God marks the spot and never forgets. Jesus died on the cross, and his blood dripped on the ground, and God marked the spot: From now on any who call upon the name of the Lord shall be saved! (M. Niva)

Wenn du nicht allein sein willst, fang erst gar nicht an. Du wirst vielleicht gezwungen werden, allein gerade zu stehen für die Vision, die du bekommen hast. Aber alles Blut und jedes Opfer wird von Gott gesehen und nie vergessen. Er markiert alles. Als Jesus am Kreuz verblutete und sein Blut auf die Erde tropfte, markierte Gott auch diese Stelle, und zwar folgendermaßen: Ab jetzt wird jeder, der zum Herrn schreit, gerettet werden. 

 
 
 
 
 

24. September 2024: Ihr Kinder des Friedens, wendet eure Ohren weg vom Geschrei der Welt. (Elisabeth von Schönau)

Foto: Eberhard Friedrich Walcker Orgel 1846 Hoffenheim bei Mannheim

Ich freue mich auf mein Konzert in Zweibrücken.

Ich erinnere mich an meine Zeit in Herrnhut, an den Gottesacker, an Prag eine Stunde entfernt, an Tschechien, an die Elbe, die dort entspringt, durch die sächsische Schweiz nach Dresden bis nach Hamburg fließt. Böhmen ist im Grunde das deutsche Wort für Tschechien, daher The Moravians (Mährische Kirche, Herrenhuter Brüdergemeinde). Mähren ist ein Teil Böhmens, alles deutschsprachig, nah an der Grenze.

Die deutschsprachigen Lutheraner flüchteten damals auf das Land von Graf Zinzendorf vor der katholischen Kirche. Zinzendorf war schon als Kind, als Waise von Gott berührt worden. Zunächst studierte er brav Jura, schloss es auch ab und hatte nicht vor, neue Kirchen zu gründen. Er tat es jedoch, als die Flüchtlinge kamen. Seine Gemeinde hat nichts mit orthodoxer Kirche zu tun, in der Frauen nichts sagen dürfen. Im Gegenteil. In der mährischen Kirche ordinierte Zinzendorf Frauen, sie wurden Predigerinnen und Leiterinnen.

Missionar zu sein bedeutet nicht automatisch, Land und zuhause zu verlassen. Mose, Luther, Zinzendorf, Bach, Jan Hus – sie alle waren Missionare im eigenen Land.

Ott Orgel Alexanderkirche Zweibrücken