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Reisen

19. September 2009

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Brasov

Brasov, frueher Kronstadt, 350.000 Einwohner, ist eine wunderschoene Stadt mit freiem Marktplatz, Restaurants, Kneipen, interessantem Kleidungs-Stil, Maentel, Leinenkleider, Schuhe und Stiefel, die ich noch nie gesehen habe. Unser Hotel liegt mitten in der Innenstadt, im Aro Palace einige Meter entfernt ist die Konferenz. Das Toilettenpapier ist pink, das Licht laut, der Fahrstuhl gefaehrlich, aber insgesamt (fuer 4 Sterne), mit einem alten Bluethner in der Eingangshalle, edel, gemuetlich, erinnert mich an ein altes Koenigsschloss; das Aro Palace ist voll Glas, modern und sehr edel. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, ueber die braune, aermliche Skyline, bin ich traurig, weil ich spuere: wenn Geld da waere und weniger Korruption, wie wunderschoen, noch schoener, koennte Brasov sein! Ich realisierte auch, dass ich mich in Transilvanien befinde — an den Dracula-Tassen. Es ist inspirierend, mit Musikern aus 10 verschiedenen Laendern zusammen zu kommen: Ungarn, Deutschland, Rumaenien, USA, Schweiz, Finnland, Litauen, England, Polen und Italien .. alles Laender, in denen ich bereits war. Ich liebe Osteuropa; die Atmosphaere ist nicht so hart, nicht so perfektionistisch. Ich atme auf.

Das werden in Düsseldorf und Bonn alles ziemliche Brecher: Bachs Goldberg-Variationen, dann Franck Prelude, Choral und Fuge, Ravel Bolero, Gershwin Rhapsody in Blue.

Ein zehnjähriger Schüler sagte zu meinem Vergnügen, Schach sei wie Klavierspielen: Dort tüftele man mit den Figuren, und hier tüftele man mit Noten und Tasten.

Wenn ich eine fremde Sprache hoere, Rumaenisch, und sie wie Musik in meinen Ohren huepft, begreife ich nicht, dass ich die Sprache nicht verstehe — obwohl ich sie doch verstehe. Aber ich kann die Worte nicht greifen, nur den sound, den Klang, der immer bekannter wird, wie Musik.

Ich traeumte. Am Schluss stand ich auf einem Berg, der allmaehlich hell und weich und kleiner wurde, und irgendwo mittendrin war ein winziges, leuchtend rotes Herz. Die Golddecke klappte auf wie geschmolzenes Wachs.

Naechste Woche habe ich viele Konzerte, fast jeden Tag eins. Bucharest werde ich am Montag sehen, die 2-Millionen-Stadt. Und das Dracula Schloss in Bran. Aber am Sonntag auf jeden Fall erst mal Hermannstadt: Sibiu.

21. August 2009

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Meisterkurs Saarbrücken

Der Wald hier ist herrlich, alles hängt voll Brombeeren und Himbeeren und Rehkitze springen furchtlos um einen herum. Die Probe lief sehr gut, ich übte in der Gnadenkirche. Die Mischung aus Improvisation und Komposition ist einmalig, auch gerade vierhändig, das Vierhändige an der Orgel. Es kommen mir dabei so viele Ideen, dass ich anschließend erschöpft bin.

Mein Schachspiel habe ich leider verloren. Kollegen und ich spielten im Speisewagen des ICE nach Frankfurt. Ich muss sagen, dass ich im Blitzschach besser spiele: Je schneller, spontaner und mutiger, desto besser für mich. Je länger, strategischer und schweigsamer, desto schwieriger für mich. Speisewagen in ICEs sind für mich ein sehr gemütlicher Ort, vor allem, wenn man darin einen Eintopf ißt, wie früher, als ich klein war und mit meinem Vater auf Konzertreise unterwegs.

Ohne Intuition fehlt etwas Entscheidendes. So möchte ich nichts auslassen, nicht Mathematik durch Sprache ersetzen.

Auch der Meisterkurs Bach in Saarbrücken war sehr interessant: Es ist schön, mit anderen aus Frankreich, Asien und Deutschland zusammen über Bach zu meditieren und sich vorzuspielen und zu lernen. Mittlerweile vergleiche ich fast alles im Leben mit Schach, selbst das Klavierspielen. Ich frage mich jedoch, wie ich das Intuitive verbinden kann mit kühler Logik, Konzentration, Erfahrung, Wissen, Brillanz und Mathematik — es muss sich verbinden lassen; ich bin mir sicher, diese Dinge schließen sich nicht aus.

02. Juni 2009

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Hände

Manchmal vermischen sich Tag und Nacht, und mein absolutes Gehör leidet beim Auswendiglernen blutend an verstimmten Klavieren und an Lärm. Die Nacht vergeht, wenn ich schlafe, wie eine Minute, und Tag deckt sich mit Nacht. Es ist anstrengend, mindestens viererlei zu tun: konzertieren, lernen, studieren, üben, arbeiten, schreiben. Obwohl meine Hände klein sind, sind sie doch sehr trainiert und fallen auf den ersten Blick manchmal nicht als klein auf. Doch schmerzen sie schon nach vielen Üben hin und wieder, sie kommen mir dann vor wie kleine Bällchen in Pergamentpapier gewickelt, und die Adern auf meinen Handrücken scheinen zu seufzen.

08. Mai 2009

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Riga

Zaiga (Zaiga mit weichem s ausgesprochen; im Schwedischen gibt es kein weiches s), Kokle-Spielerin, wird mich heute und morgen auf dem Meisterkurs ins Lettische übersetzen. Mir ihr bin ich gestern durch das nächtliche Riga geschlendert. Leider gibt es keinen lettischen Wein.

Wenn statt Englisch und Schwedisch in meinem Kopf vermischt, mein Gehirn allmählich versteht, was was ist und ich in Schwedisch nun zu denken beginne, freue ich mich. Die lettische und litauische Volksmusik berührt mich sehr. Ich liebe es, neue Klänge zu hören. Volksmusik und Chormusik formen eine Nation.

Maya von Patel schreibt: „Die Seele eines Landes liegt in ihrer Musik. Ein Land, welches seine Musik verkauft, ignoriert oder dem Kommerz preisgibt, verdient es, Coca Cola als Folge zu haben.“

Es macht Spaß, mit Dace Violin-Stücke vom Blatt zu spielen im Herzen von Riga, denn Riga ist so romantisch in sich, an sich, dass auch ein verstimmtes Klavier nicht stört: Wokaliza von Rachmaninov, russische Komponisten. Auf dem Turm der St Petera Baznica stand ich zwischen Schweden und Deutschen und innerlich symbolisch zerrissen. Wie angenehm der schwedische Klang, die Melodie ist — eine Offenbarung, sie zu verstehen. Die Gruppe der Sachsen und Deutschen dagegen klang so hart und konservativ, dass ich abgeschreckt war. Warum sage ich eigentlich nicht, dass ich schwedisch-deutsch bin? Das stimmt genauso. Kommt mein Fernweh vielleicht daher, dass ich eigentlich schwedisch bin und im falschen Land wohne? Eine Sprache macht sich nicht nur durch Worte aus, es sind auch die Schnauber durch die Nase, sogar das Seufzen, dass im Schwedischen so anders und weich klingt. Daher formt eine Sprache das Herz des Menschen, des Landes. Dennoch liebe ich Deutschland und werde es nicht verraten. Da stand ich mit meiner schwedischen Tasche zwischen Russen, Japanern, Amerikanern. Als ich die Kirche verliess, kam mir ein Mann entgegen und murmelte: ah, svenska — als er mich sah.

Ich lief über eine der großen Brücken, die Steinbrücke, die sich über den breiten Daugava Fluss spannt hinter dem Ocupation-Museum, und kam mir vor wie damals New York, auf der Washington Bridge über den Hudson River, nur dass diese Brücke viel niedriger war.

Ich liebe Brücken trotz Höhenangst. Dort, wo Wind und Sonne die Wasseroberfläche berühren und küssen, antwortet sie mit vielen Lippen und Mündern, die sich immer wieder neu formen und Gold auf ihren Rändern zeigen. Eigentlich ist diese Schönheit zu verwirrend, zu viel für einen Menschen: die Antwort des Wassers auf Sonne und Wind — und doch nur sichtbar, wenn ein Mensch genau hinsieht. Es gibt so viel überwältigende Schönheit, die noch nicht wahrgenommen wird.

Rigas Geschichte ist schwer und traurig, denn erst 1991 war Lettland eine freie Nation, also lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Zaiga hat als Kind noch erlebt, dass das Ausland Russland war und die Grenzen zu.
Zurück spazierte ich die Freiheitsstrasse am Park entlang, die Brivibas Allee. Wie schön, dass auch Riga eine Freiheitsstatue hat.

Ich kenne mich mittlerweile in dieser Fast-Millionen-Stadt ganz gut alleine aus, zu Fuß und mit Tram. Und wenn ich einmal alleine bin, dann rufen sich Zaiga und Ilze gegenseitig an, ob ich wann und wo und wie gut angekommen bin. Ein Lit ist mehr wert als ein Euro, und 3.50 Lit sind schon über 5 Euro, während es in Litauen genau anders herum ist, 3.50 Lat sind erst ein Euro — wenn man zwischen diesen Ländern hin und her pendelt, darf man da nicht durcheinander kommen, da die Dinge, die man für umgerechnet 5 oder 1 Euro kaufen kann, oft auch noch gleich sein können.

Die meisten Balten haben untereinander kaum etwas miteinander zu tun. Unser Lieblingsplatz ist ein kleines zweistöckiges Teehaus mit großen Glasfenstern in der Nähe der Akademie und der Oper am Vermanis Park. Man trinkt im Liegen auf dicken Kissen seinen Tee, isst Schokolade mit Honig und schläft fast ein oder sieht auf den Kanal von Riga und die kleinen Boote. Der Strand von Jurmala ist einsam und wundervoll, die Stadt selbst ein kleiner Kurort, das „russische Paradies“ mit sehr wertvollen Häusern und Autos von reichen Russen, das schockierende Gegenteil vom Zugbahnhof in Riga, auf dem ich viele Arme, Resignierte und Betrunkene gesehen habe; in den Zügen, in die man hineinklettern muss, verkaufen sie in langen russischen Litaneien Zeitungen, Eis, Blumen. Bevor ich verstand, dass die Quittung mein Zugticket war, hatte ich beinahe mein „Ticket“ weggeworfen. Wir fuhren über den großen Daugava, der viel größer noch ist als der Rhein, und den Lielupe (Großer Fluß), der direkt ins Meer fließt. Als Zaiga und ich in Jurmala ankamen, trafen wir auch auf einen menschenleeren Strand, da die Saison erst im Juni beginnt. Es war sonnig und windig, Bernstein wird wohl in Massen an den Strand gespült laut den Geschäften. Es tut mir gut, schweigend auf das Meer und in den Himmel zu sehen und das Rauschen der Wellen zu hören. Ich mag das Beängstigende, Gezähmte des wilden Meeres, als hätte Gott es nur angestupst und nun rollt es von alleine. Immer noch spüre ich dumpfes Fernweh, wenn ich in der Ferne Schiffe sehe, noch dazu, wenn ich weiß, dass hinter dem Horizont Skandinavien liegt.