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Tur Blogg

Vorrat

Meine Noten und Bücher waren voller Sand, als ich meinen Koffer auspackte. Ich bin seit einigen Stunden wieder zuhause. Es war schön, wieder in Ruhe zu üben. Die Acryl Leinwand von Simone hängt an meiner Wand in der Nähe des Flügels. Der Improvisations Workshop war super gestern; kaum waren wir angekommen, wartete die Presse: zuerst ein Fotograf, dann eine junge Frau, die mitschrieb. Es waren fast 30 junge Leute beim Kurs anwesend, alles bunt gemischt, dazu die vielen Zuschauer, die passiven Teilnehmer sozusagen — denn vom Zuhören kann man lernen.

Deutschland

Es war kein Schock, wieder in Deutschland anzukommen, da nach einer Woche Regen in den meisten Teilen Deutschlands, während ich in Korsika war, der Tag, an dem ich am Kölner Flughafen eintraf, der erste sonnige Tag nach sieben Tagen war. Ich wurde abgeholt, meine Mom reiste mit dem Zug nach hause, wir fuhren nach Velbert mit dem Auto, 20 Minuten von Wuppertal und Bochum entfernt, und ich schlief erst einmal ungewollt einige Stunden, am Ziel angekommen. Zwei Wochen Mittelmeer muss sein, sonst ist die Umstellung doch anstrengend, wenn man dort spielt. Das Konzert in Velbert war für mich ein Genuss und nicht so anstrengend wie in Calvi, wo man die Sonne und den Wind noch überall in seinem Körper spürt.
Die FeG Velbert sieht von außen wie eine kleine weiße Villa aus mitten in einer schönen ruhigen Wohngegend. Simone Ramshorn, Bildende Künstlerin, die als Künstlerin im Leitungskreis ist und Leben.live gegründet hat, mich vom RAD Künstlerbewegung her kennt, wo wir beide seit 5 Jahren tätig sind, ich im Bereich Musik, sie im Bereich Bildende Kunst, und eingeladen hat nach Velbert, gestaltete auch den Jugendbereich der FeG innen wunderschön und künstlerisch, zum Beispiel mit Styroporplatten bemalt in Weiß, Acryl in Tönen von hellem Terracotta, feeling aus dem Mittelmeerraum verbreitend, an die Wand geklebt, dass sie wie Gestein wirken an der Wand. Der kleine brandneue schwarze Kawai Stutzflügel, den ich einweihte, klang schön und nicht eng, wie ich (bei einem Stutzflügel) befürchtet hatte. Ich bekam einen riesigen Strauß Pfingstrosen und hellrosa Rosen, die Köpfe haben dick wie Pfirsiche. Die Pfingstrosen, die ihre Farbe ändern.

Nach dem Konzert saßen wir noch gemütlich unter der Marquise von Ramshorns im Garten und tranken Rotwein. Von Korsika war ich leider bereits gewöhnt, Wein (wie Wasser) zu trinken, glücklicherweise meistens Rosé. Freunde waren eingeladen und erzählten von ihren Reisen nach Neapel, Indien, Neuseeland. Für mich ist der Bruch zwischen klassischen Stücken — ich spielte Bach, Chopin, Franck und Haydn — und eigenen Stücken, Songs, die ich singe und spiele, Improvisationen und Lyrik vom Flügel aus gelesen mittlerweile normal geworden. Für viele Menschen aber ist dies ganz neu und sehr überraschend, für beide Seiten: für die Klassiker und auch für die, die sich kaum mit Klassik oder Musik beschäftigen. Morgen sind die Kinder dran. Ich freue mich vor allem über die vielen Kinder, die kommen werden mit Schlagzeug, Querflöte, Bongos, Cachon, Gitarre, auch klassischer Gitarre, und natürlich die kleinen und großen Pianisten. Natürlich bin ich auch gespannt auf Simones Atelier in der Stadt. Es macht mir Freude, zu Kunstwerken Lyrik oder Songs zu schreiben oder dazu frei zu improvisieren wie bei der KunstwerkWoche in Lungern, Schweiz, wo wir als Band spielten. Vielleicht werden wir uns nochmal in Schottland in einem Turm treffen und kreativ sein, abgeschieden vom normalen Leben wie im Künstlerdorf La Pigna bei Calvi.

Calvi

Calvi bei Nacht zu sehen, war ein schönes Erlebnis. Die kleine korsische Bahn ruh.t Die korsische Sprache, die so sehr nach Italien klingt, zeigt gesungen eine solche Kraft, einen Rhythmus, dass ich mit den Sternen über mir davontanzen möchte.
Sehe ich die kleinen Balkons der Korsen, wenn ich den Kopf in den Nacken lege, stelle ich mir vor, dort ein anderes Leben zu leben, vielleicht mit fünf Kindern auf engstem Raum. Als Evelyn, die in Pinea 10 Wochen gearbeitet hat und auch am Samstag zurückfliegt, und ich später am einsamen Strand auf den Felsen lagen, das Meer glucksend unter uns, über uns Hunderte von Sternen, konnte ich mir kaum vorstellen, dass die Sonne mehr oder weniger unter uns die Planeten gegenüber anleuchtet und der Kosmos das große Nichts ist — es geht bis dahin, dass ich mich frage, warum ich nicht angeleuchtet am Himmel zu sehen bin .. bin ich kein Planet? Tagsüber war es sehr heiß und windig, die Steine reflektierten noch die Wärme, wie die Planeten das Licht der Sonne reflektierten, doch es war schon recht kalt. Einige Sternschnuppen sanken dahin, vielleicht hatte ich sie zu leidenschaftlich angesehen, dass Sterne verglühten. Da ich gehört hatte, dass die Sterne zueinander in Intervallen geordnet sind und das ganze Universum singt, versuchte ich, die Intervalle zu hören, während ich nach oben sah, aber ich hörte sie nicht. In zwei Wochen habe ich ein Vorspiel an der Freiburger Musikhochschule, darauf freue ich mich schon; doch erst mal die Konzerte in Velbert.

Die Strandwanderung war ein Genuss: einsame Buchten und Strände inmitten der Maccia — es duftet, weil die Maccia mannshoch wächst: ein duftender Irrgarten aus blühendem Gestrüpp umrundet die Klippen, die von Sand, Meer und Wind über Jahrhunderte zu den kunstvollsten Formen geschliffen wurden: ein granitharter Felsen sah aus wie ein Krokodil, ein anderer wie ein Nashorn. Ich badete an zwei Stellen — einmal dort, wo es wellig war, die Wogen an die Steine zischten und das Wasser dunkel von Tang, und an einer ruhigen Stelle, wo es türkisgrün, hellblau und dann wieder dunkelblau war, in Schichten schillernd bis in die Ferne. Das Meer zeigt hier eine einzigartige Farbkombination. Mit meinen hohen offenen Bounce-MBT-Schuhen war es teilweise nicht leicht, steil abfallende Wege nach unten oder oben durch Kies und Schotter zu laufen. Durch die Sonne bin ich ziemlich braun geworden in dieser Woche. Zurück an unserem Heimatstrand schwamm ich mit einem Gast bis zur hintersten Boje, die einsam, schmutzig und gelb vor Anker lag. Ich dachte mir, nur keine Panik bekommen — es ist wie beim Klavierspielen — auf offener See schwimmen ohne Land in Sicht. Bekommt man Panik, wenn man so lange, mindestens 40 Minuten, auswendig spielt, geht man unter.
Das Klavierkonzert war ein Erfolg, Manfred Domrös, seit 30 Jahren im Hauskreis mit Manfred Siebald, leitete den Abend ein und zuende. Es tat gut, in Klimaanlage zu spielen, da sich die Sonne in mir drin zu befinden schien: ich fühlte mich heiß und müde an nach den Wanderungen. Es gab ein Blitzgewitter, weil jeder des Publikums uns mit unseren neuen, korsischen Kleidern fotografieren wollte. Unsere Zugabe war ein Tanz von Fauré. Chopin, Lyrik und Songs lieben die Leute am meisten.

La Pigna, Corse

Korsika kann man an seinem Duft erkennen … die Maccia mit seinen Hunderten verschiedener Pflanzen duftet selbst in die ruhigen dunklen Kirchen der Insel hinein. Sogar auf den Wellen des Mittelmeeres scheint sie zu thronen und zu duften. Wir sind gut in Calvi angekommen, die Süße der Mittelmeerluft empfing uns.

Es hat sich viel verändert und doch eigentlich nichts. Erstaunlich war, dass mir alles viel kleiner vorkam, als wäre ich größer geworden; vielleicht innerlich größer.

Es dauerte drei Tage, mich an das Klima zu gewöhnen; zunächst war ich erschöpft und müde und schlief täglich am Strand für einige Stunden ein. Jeden Morgen zu spielen war nicht so leicht, nachdem ich teilweise im Saal bis nachts um eins geübt hatte, um durch mein Wettbewerbsprogramm von 150 Minuten durchzukommen.

Ein Stück von 42 Minuten Länge braucht zum Üben mindestens 90 Minuten. Nun merke ich, wie die duftende, warme Luft und das Gezwitscher der Vögel allmählich durch meine Schläfen in meine Sinne, mein Gehirn dringen und ich mich eingewöhne. Das Melancholische der Korsen und ihrer Musik gefällt mir und berührt mich. Ich liege am Strand, lese Georg Trakl und bin innerlich bewegt über seine Farben, die er über und über verwendet.

Ich liege dort, spüre den Sand, höre die Wellen, ahne die Zitadelle, die über unsere Bucht ragt, und es kommt mir vor, als müsste ich seine Seele trösten und umarmen, sehne mich danach, mit ihm sprechen.

Die Farbe Blau taucht immer wieder in seinen Gedichten auf, ebenfalls die Amsel: die Klage der Amsel, Gold und Silber. Man kann ihn sofort erkennen, ohne seinen Namen zu hören oder zu lesen. Natürlich schwimme ich auch, obwohl mir das Wasser selbst jetzt noch fast zu kalt ist — und geniesse den recht leeren Strand.

Das Künstlerdorf La Pigna mit seinen blauen Fensterläden, den steinigen Gassen und den herrlichen kleinen Restaurants mit den luxuriösen korsischen Gerichtchen in Tonschüsseln war ein Erlebnis nach dem anstrengenden Aufmarsch, zuerst durch Lumio und später steil vorbei an Feigenbäumen, Eukalyptusbäumen, Zitronenbäumen, Aprikosenbäumen, von denen wir pflückten, Salamandern und Schlangen, die ins Gebüsch huschten:

es gab Kastanienkuchen, frisch gepressten Zitronensaft, Kichererbsenpüree mit frischem Olivenöl, Ziegenkäse mit Feigenmarmelade, korsischen Schinken, korsischen Wein, korsischen Käse, Orangenwein, Fourné. Wir waren eine kleine Gruppe von Pinea, ca. 30 Leute;

unser Sprecher Manfred, Prof. aus Mainz, erzählte von Sri Lanka, und auch meine Mom hatte ihren Spaß bei der Wanderung. Freitagabend ist unser Konzert, Schlüter Duo und PianoLyrik, bei dem ich Bach, Chopin, Haydn und Franck spielen, Gedichte lesen und als Zugabe eigene Lieder singen werde — und vorher ist unser vierhändiges Programm.

Auch hier schreibe ich Gedichte am Strand. Tagsüber sitze ich meistens am Wasser und lese die musikwissenschaftlichen Bücher, momentan über Bachs Goldberg Variationen und über Bachs Leben, bin teilweise erschrocken, mit was für einer Absolutheit einige Wissenschaftler über tote Komponisten schreiben, wobei vieles einfach schlicht ihre eigene Meinung ist, sei es über Interpretation, sei es Analyse oder Vergleich von Werken — bei lebendigen Komponisten könnten sie sich das nie herausnehmen.

Einige Texte scheinen in Konkurrenz zum Werk an sich stehen zu wollen, was mir recht absurd vorkommt. Dennoch lerne ich viel daraus. Die Open-Air-Andachten zu gestalten und musikalisch zu begleiten, macht mir viel Spaß. Unser Apartment am Meer ist gemütlich, mit Balkon und Sicht über die Pinien zur Zitadelle, auf dem wir Fisch und blauschwarze Pfahlmuscheln mit Zitrone, Butter und Baguette essen. Die Korsen aber waren und sind eigentlich Hirten, keine Fischer. Ihre Schafe sind überall auf dem spärlich bewohnten, hügeligen, bergigen, herrlichen Land zu sehen.

04. Juni 2009

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Entspannung

Ich reite zur Entspannung. Es erdet mich.

Zyklen von Bach auswendig lernen ist am langwierigsten.

Vielleicht wird es später im Himmel so sein — eine einzige riesige Universität, zu staunen und völlig hingerissen zu sein.

Hände

Manchmal vermischen sich Tag und Nacht, und mein absolutes Gehör leidet beim Auswendiglernen blutend an verstimmten Klavieren und an Lärm. Die Nacht vergeht, wenn ich schlafe, wie eine Minute, und Tag deckt sich mit Nacht. Es ist anstrengend, mindestens viererlei zu tun: konzertieren, lernen, studieren, üben, arbeiten, schreiben. Obwohl meine Hände klein sind, sind sie doch sehr trainiert und fallen auf den ersten Blick manchmal nicht als klein auf. Doch schmerzen sie schon nach vielen Üben hin und wieder, sie kommen mir dann vor wie kleine Bällchen in Pergamentpapier gewickelt, und die Adern auf meinen Handrücken scheinen zu seufzen.

Algajola, Corse, Frankreich

Zuvor gab es eine Wanderung durch Corbara mit seinem Kloster nach San Antonino, zurück über Areggio, Pigna und Algajola. Ich ritt zur Freude des kleinen Künstlerortes mit einem Esel durch die Stadt. Pro Jahr habe ich ungefähr 80 bis 100 Konzerte.

Wenn ich die Kinder beobachte am Strand in Calvi, die mit mir spielen wollen und so zutraulich auf mich zukommen, dann habe ich das Gefühl, es stehen weiche tropfende Seelen vor mir, pure Kunst, und ich sehe in ihre leuchtenden, schmelzenden Augen, die voller Liebe sind.

Ich beobachte, wie die französischen und korsischen Familien mit ihren Hunden im Meer spielen; die Hunde sind belastbar und freudig, sie holen einen gelben Ball mit schwarzen Punkten, als würde es um ihr Leben gehen, schwimmen wedelnd, wobei sicher angestrengt, bis weit hinaus, von den Felsen springend.

Manchmal kommen korsische Jugendliche und rasen mit ihren Motorrädern am Strand entlang, oder es kommen Männer und Frauen, die mich wecken und fotografieren wollen. Manchmal liegt ein Hund dicht neben meiner Matte und schläft in der Sonne, ohne zu blinzeln.

Es ist der Hund von irgendeinem der Strandrestaurants. Kurz, man könnte den ganzen Tag dort liegen, ohne sich zu langweilen. Wenn ich im Saal übe, hören oft Franzosen oder Korsen oder Deutsche zu. Sie scheinen es zu geniessen und sich daran zu erfreuen.

Kunst und Wissenschaft

Es ist schön zu wissen, dass die Wissenschaftlerinnen und Künstler in der ganzen Welt verteilt sind und wir kommunizieren können. Es gibt keinen Kanon in der Kunst und Wissenschaft, jeder ist selbst auf der Suche. Wissenschaft bzw. Forschung hat viel mit dem zu tun, wie man selbst ist — und Forschung wiederum ist bereits Kunst. Es ist dazu wirklich wichtig, in der künstlerischen Entwicklung viele Sprachen zu lernen. Ich vermische manchmal ins Schwedische Englisch hinein. Die Sprachmelodie ist eine Welt für sich.

Stuttgart

Ich bin aus Stuttgart zurück, habe dort in der Hochschule unterrichtet und geübt und die Staatsgalerie und das Deutsche Informel genossen. Ich liebe große Leinwände, abstrakte expressive, spontane Kunst mit großen Farben und Gesten, Öl, Acryl, Mischtechnik.

Wir müssen lernen, aufhören zu wollen, zu siegen. Mit dem Siegen aufhören können, wer kann dies? Jesus.

Kirchentag

Kirchentag in Bremen, am Deich in einem Strandkorb, denn später soll dort ein Liturgie-Gottesdienst stattfinden. Als ich nach unten in das Meer sah, schwamm dort eine Rose. Die Norddeutschen scheinen mir insgesamt bescheidener und freundlicher zu sein. Trotzdem bin ich in Bayern, in Franken zuhause. Aber wie oft fühle ich mich als Zigeunerin, als hätte ich nicht nur ein Leben? Aber ich eine habe einen großen norddeutschen Teil in mir väterlicherseits, und einen nordischen Teil von meiner Mutter, und noch einen ostdeutschen Teil von meinem Papa, und doch bin ich Fränkin – wenn das nicht mal eine Mischung ist!