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01. November 2009

Schweden

Wir fuhren früh gestern los nach Schweden mit dem Kammerchor der Universität Würzburg.

Die Ostsee fiel mit dem Himmel und der aufgehenden Wintersonne zusammen, als wir die Öresundbrücke erreichten, die Brücke über das Meer zwischen Dänemark und Schweden, zwischen Kopenhagen und Malmö, zwischen Seeland und Schonen. Es ist ein Erlebnis, wenn die Brücke schier in der Meerenge verschwindet, aber in einen Tunnel unterhalb des Meeres mündet.
Tags zuvor hatten wir Helsingborg und Helsingör besucht und überquerten die schmalste Stelle dieser Meerenge mit der Fähre Hamlet. Früher war das nun schwedische Gebiet um Lund und Malmö herum dänisch gewesen. Man spürt von der Atmosphäre her vielleicht den Unterschied, wenn man zwischen Dänemark und Schweden pendelt, aber der wunderschöne skandinavische Stil ist doch in vieler Hinsicht gleich hier zwischen den beiden Ländern: die interessanten, freundlichen Farben der Häuser, der geschmackvolle, schlichte Stil, die weißen, großen Fenster, die Sauberkeit, die frische Meeresluft an der Küste, die roten großen Rathäuser. Dänemark kommt mir immer etwas holländisch vor, während Schweden für sich eine eigene Welt ist. Lund am Öresund in Schonen gefiel mir noch besser als Malmö. In Helsingör bewunderten wir die nachgebaute Orgel Buxtehudes in der Marienkirche. Ich musste dabei an Bach denken, der kilometerweit zu Fuß gewandert war, um Buxtehude zu besuchen.

Auch zur Kronborg, der großen Burg an der Küste, in der Shakespeare seinen Hamlet spielen liess, liefen wir. Da ich nicht den Stadtkern von Helsingör mit 35.000 Einwohnern gesehen habe, kann ich leider wenig über diese schöne Stadt schreiben. Aber sowohl Malmö, Lund, Kopenhagen, Helsingborg und Helsingör scheinen insgesamt richtig herrliche Städte zu sein, jede einzelne für sich. Wobei ich sagen muss, dass Malmö nicht ganz meinen Geschmack getroffen hat.

Durch Helsingborg mit seinen knapp 100.000 Einwohnern sind wir leider nur durchgefahren.
Gestern abend besuchte ich ein sogenanntes spex, ein Play, im Medizinergebäude der Universität Lund, ein schwedisches Musical. Die große Universität ist in verschiedene, so genannte Nationen aufgeteilt, das heisst, in etwas ähnliches wie Verbindungen, und jede einzelne hat seine Schauspielgruppe, etwas in der Art, und diese führen Musicals auf, also Plays, dort singen und tanzen sie und haben eine Band oder ein kleines Orchester. Diese Plays heissen spex. Ich merke, dass die schwedischen Studenten sehr auf Gemeinschaft aus sind, zusammen helfen, kaum rauchen. Alles wirkt so sauber und anständig, etwas konservativ vielleicht, aber schön. Das ganze Gebiet wirkt wie von einem anderen Planeten: die großen Herbstbäume, die angestrahlte weißen Universitätsanlage, alles voller Brunnen, Blätter und Fahrräder. Es muss eine schöne Atmosphäre sein, hier zu arbeiten, zu forschen. Die Doktoranden haben dort ein ziemlich gutes Gehalt, ein eigenes Arbeitszimmer. Viele sprechen nicht schlecht Deutsch, alle Englisch. Selbst die Mensa sieht aus wie ein Tempel, sowohl innen als auch außen. Die Aulen und Säle mit Steinway-Flügeln sind eher ein Museum oder eine Kirche und doch nicht steif und kalt, alles ist freundlich, menschlich. Alle Kirchen sind ohnehin beheizt und recht warm. Die verschiedenen Professoren der Hochschule in Malmö und der Universität Lund waren alle sehr interessiert und freundlich, wirken weicher und bescheidener, auch in der Art, wie sie duzen. An den Musikhochschulen einen künstlerischen Doktor zu machen, ist mittlerweile sehr im Kommen. Besonders schön war es, in der Hauptbibliothek die handgeschriebenen Originale von Werken von Schubert und Liszt, also historische Dokumente, die Tinte, das alte, gelbliche Notenpapier, zu sehen, und auch, die Musik des schwedisch-deutschen Komponisten W. W. Glaser kennen zu lernen.

Zurück ging es wieder durch Dänemark vorbei an Rödby mit der großen Fähre nach Deutschland, die eine Dreiviertelstunde bis zur Insel Fehmarn, Puttgarden und der Fehmarnsundbrücke braucht. Genau wie im Systembolaget in Schweden wird auf der Fähre ebenfalls Schlange gestanden für Alkohol. In Lund hatte ich die Gudrun Sjöden-Mode, die es ja auch in Deutschland mittlerweile gibt, kennen gelernt; die Damen-Mode in Schweden ist sehr weiblich, voller Rücke und Kleider und Farben wie Rosa und Lila und Rot, also sehr auffällig durchaus, aber individuell und stilvoll, mit Punkten und auch etwas kindlich, aber schöne Materialien. Ich habe mir einen rosa Windmantel gekauft, sehr auffällig. In Würzburg braucht man ja Mut, um anders auszusehen als die anderen. Schweden ist wie USA, jeder kann tragen, was er will. Großstädte sind insgesamt freier, finde ich, und Lund ist mehr Großstadt als Würzburg — es kommt eben nicht nur auf die Einwohnerzahl an.
Eventuell werde ich Weihnachten in Südschweden verbringen.

Kaum ist meine zweite Schlagzeugstunde um, bat mich Bernd Kremling, in der Philharmonie Würzburg am Wochenende Perkussion, die sogenannte Große Trommel, zu spielen, etwas wie Pauke. Ich habe außer als Solistin keine Erfahrung mit Orchester: also innerhalb eines Orchesters zu spielen — diese schöne Erfahrung macht man als Pianistin nicht, da ich kein Orchesterinstrument spiele. Außer das Celest bei Holsts Planeten in den USA habe ich innerhalb des Orchesters nicht gespielt. Klavierkonzerte habe ich mit Orchester gespielt, aber das ist nicht dasselbe, innerhalb eines Orchesters zu sein. Perkussion im Orchester spielen meist Männer; ich freue mich auf die Trommel, und es ist interessant, aus einer Perkussions-Orchester-Partitur zu lesen, zu spielen. Da ich im Sommer in der Musiktherapie eine Verbindung zur Trommel bzw. Pauke hergestellt habe, ist dies jetzt ein besonderes Geschenk. Was es bedeutet, weiß ich nicht. Ich empfinde fast etwas Zärtliches für die Trommel. Es stimmt, dass Musik Propaganda pur ist — diese Trommel hat so viel Klang, tief und weich, so voll Power und ist doch so zärtlich, finde ich. Morgen beginnen die Orchesterproben.
Wie kann man mit Herz und Seele allein nur im Akademischen aufgehen? Es scheint mir eine Flucht vor dem Wesentlichen zu sein, sogar die Pädagogik kann eine Flucht sein. Es kommt mir immer mehr vor, als sei die Musik und die Kunst das Gegenteil vom Akademischen. Doch ich glaube an eine Verbindung.
Seitdem ich in dem schwedischen Chor Lucia bin, hat Weihnachten spätestens schon angefangen, mit schwedischem Glühwein und Lebkuchen, Gemeinschaft und Liedern — für mich ist die Lucia schön als Lichtträgerin und Hoffnungsbringerin. Es macht Spaß, in einem solchen Laienchor zu singen. Ich freue mich sehr auf unsere Lucia-Auftritte und finde es schön, dass sich der schwedische Stammtisch mit der Uni deckt. Das letzte Mal Lucia war ich mit 10. Ich hatte einen Lichterkranz im Haar, soll wie ein Engel ausgesehen haben im weißen Gewand; ich singe alle schwedischen Texte auswendig.
Die kleine evangelische Kirche in Wenkheim bei Würzburg war ein Genuss. Morgen buchen wir das Ticket nach Vadstena, drei Stunden von Stockholm entfernt.

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