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20. September 2016

Black Church Kronstadt

Heute waren wir in der Black Church, der Schwarzen Kirche oder dem evangelischen Dom in Kronstadt, genannt so, da ihr helles Gestein durch Feuer, Krieg schwarz geworden war. Die Orgel dort wurde mir von dem Organisten vorgestellt; sie hatte einen so wunderschoenen Klang, dass uns heiss und kalt wurde. Eine Orgel wie diese mit 4000 Pfeifen singt und stoehnt und seufzt, Koenigstrompeten und Orchester erklingen, waehrend federleichte trainierte Haende voller Herz sie spielen, und all die Vorurteile, die Menschen gegenueber Orgel haben, schwimmen dahin. Diese Orgel ist ein Instrument hoechster Kunst und Geschichte. Alle hielten den Atem an. Wir durften in der sonst ringsum verschlossenen Kirche herumwandern nd den Klang auf den Balkonen geniessen, bis die Alarmanlage anging. Steffen und sein Vater spielen in dieser Kirche, sie sind Siebenbuergen-Sachsen oder Siebenbuergen-Deutsche, oder Rumaenien-Deutsche, ich weiss nicht, wie ich sagen soll. Mir ist das fremd. Sie sind Deutsche und doch keine. Sie halten nur deutsche Gottesdienste in dieser Kirche, und es gibt ungefaehr 1000 Deutsche in Kronstadt, frueher 10.000. Man spuert diesen Menschen etwas an, das mich anzieht, sie sind Deutsche und doch weicher, kuenstlerisch, bescheiden, finde ich, fuer mich eine schoene Mischung. Ich freue mich sehr, hier zu spielen.

Eine Kirche, ein Klang, durch Krieg und Feuer gelaeutert, dunkel, arm, beruehrt mich ebenfalls, denn sie war voll: voll Lob. Deutsche haben um 1235 herum die Altstadt Kronstadts gebaut, damals Corona genannt, dann Kronstadt, es gab bis zum 1. Weltkrieg einen deutschen Bürgermeister, erzählte er mir. Die Stadt ist sowohl deutsch, rumänisch als auch ungarisch. Es hat sich so ergeben, dass ich dieses Jahr zufällig einige ehemals deutsche Städte konzertmässig besucht habe, die sich ausgestreckt hatten in Litauen, Polen, Rumänien, bis nach Russland. Ich freue mich, Bachs Goldberg-Variationen in Kronstadt spielen zu können.

Nach Brasov (oder Brasso, ungarischer Name) verbrachte ich eine kleine Zeit in Bucuresti, also Bucharest — diese Stadt ist anders als Riga, sie ist mit 2,5 Millionen Einwohnern eine laute, hektisch wilde Großstadt, in der man sich leicht verläuft, die zwar nicht gefährlich ist, aber recht chaotisch wirkt. Sie hat sehr schöne Ecken, vor allem abends, wenn alles angestrahlt wird, die vielen Musikhäuser, Konzerthallen, Museen, das Opernhaus, die Universitäten, der Palast House of People, der aussieht wie eine eigene Stadt in der Stadt — in manchen Alleen kam ich mir vor wie in London oder Paris oder auf Highways in den USA mit riesigen Malls an den Straßen.
Ich kann nicht nachempfinden, wie es zum Beispiel gewesen sein muss, in Kommunismus zu leben. Ich höre darüber, wir reden darüber, ich stelle viele Fragen, und doch kann ich es mir nicht recht vorstellen. Es kommt mir vor, als sei Kommunismus das Gegenteil von Kunst. Kunst hat sehr viel mit Strategie und Intuition zu tun, ich finde sogar, Strategie gebiert Intuition. Kommunismus dagegen scheint mir Chaos, Willkür, Unbelehrbarkeit, destruktive, depressive Kraft zu sein.

Mir fiel auf, wie sehr Ungarn, Rumänien und Deutschland Brüder und Schwestern sind. Die rumänische Musikerfamilie mit drei sehr begabten Kindern, die mich aufgenommen hat, um mir die Stadt zu zeigen, hat mich berührt. Der Vater ist Missionar, der ebenfalls viel reist, und Musik und Kunst sind untergeordnet unter Beziehung.

Ich finde, Musik und Kunst kommen erst zum Tragen in ihrer vollkommenen Schönheit in dieser Unterordnung unter Beziehung. Für mich ist das neu, es verunsichert mich, berührt mich. Gaben (und seien sie auch noch so schön) ruhen auf diesen Schwingen von Friede und Freude in Beziehungen. Es kam mir vor, als wir in ihrem Auto saßen, als flöge ich dahin durch das Land auf Flügeln von Sicherheit und Friede. Sie haben mich aufgenommen, als wäre ich Teil ihrer Familie, als würden sie für mein Leben genauso einstehen und es beschützen wie jedes andere in dieser Familie.

Sie haben dafür gesorgt, dass ich absolut beschützt und wohlbehalten war. Besonders an dem Verhalten der Kinder habe ich gesehen, was es bedeutet, die Gaben nicht an erster Stelle gestellt zu haben.
Als ich im Flugzeug saß, habe ich bewusst nachgefühlt, was es für mich bedeutet, in der Luft mein Leben loszulassen. Es war einer der schönsten Flüge meines Lebens. Die kleine Lufthansa-Maschine war warm in der Sonne gebadet unterhalb der Wolken, nachdem sie steil angezogen und scharfe Kurven gedreht hat, kam etwas rau in Wolken, und schließlich flogen wir dahin über den Wolken in der Sonne. Ich hatte keine Angst und genoss, keine Kontrolle zu haben. Irgendwann schlief ich am Fenster ein, umgeben von Bechern mit Wein und Kaffee und von Bergen von zerknülltem, gelesenen Zeitungspapier. Kaum war ich zuhause, hatte ich ein Konzert und musste schnell alle Dinge zusammenpacken, Noten, Gedichte, Stage Piano, mich umziehen, ich trug mein neues Kleid aus Brasov und Pumps aus Bad Homburg. Der Abend verlief schön, es war eine ganz andere Art von Auftritt als ich es sonst kenne, vielleicht ähnlich wie auf dem Slot-Festival in Polen, aber genau das gefiel mir gut: Neues zu erleben.

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