Startseite Nach oben
Kirche Lierenfeld Düsseldorf

8. Februar 2020: Wir Musiker müssen an der Kante der Katastrophe wandeln, das ist das Risiko, das wir suchen. (Harnoncourt)

Wir Musiker müssen an der Kante der Katastrophe wandeln, das ist das Risiko, das wir suchen. (Harnoncourt)

Das Konzert in der Marktkirche an der Walcker-Orgel mit ihrem majestätischen Prospekt war sehr schön und gut besucht, mind. 400 Leute. Es gab viele Bravo-Rufe und Standing Ovations. Es waren auch bekannte Gesichter darunter, die extra wegen mir gekommen sind. Mein eigenes Stück Snö (Schnee) kam sehr gut an: Es schneite in der Kirche, und die Flocken rieselten herunter. (So empfanden es die Leute.) Eine wunderschöne Walcker-Sauer-Oberlinger-Orgel, 1863 Neubau, Umbau 1900, 1929, 1938, 1970.

Bach kam auch gut an. In meine letzten leisen Liszt-Takte von B-A-C-H läuteten die melodischen Glocken.

Ich habe viele CDs verkauft. Jedes Orgelkonzert ist noch ein Abenteuer für mich. Eine Bergwanderung hoch zum Gipfelkreuz. Jedes Mal passiert Unvorhergesehenes. Ich gerate in eine Lawine, ein Sturm kommt auf. Ich genieße das Adrenalin.

Da ich Liszt nur mit der Walze gespielt habe, also ohne Setzer und allein, war die Orgel teilweise mit seinem Bombardewerk wunderschön laut, da die Walze, ganz nach unten gewalzt, an der Orgel so ziemlich alles zieht, was sie hat. Aber ich genoss das oben. Und das Publikum unten offensichtlich auch, denn alle waren sehr begeistert. Ich hatte das Gefühl, die Orgel gibt alles. Wunderschön ist auch die Doppelflöte 8, die Schwebung Unda maris mit der Gambe 8 und die Acht- und Sechzehnfüße, das Herz der Orgel. Und der 32-Fuß.

Diese vielen Achtfüße kommen mir vor wie Samt und Seide: Die Schwebung wie Samt, die Flöten wie Seide. Viele dieser Achtfüße, auch die Doppelflöte 8, sind original Walcker-Pfeifen von 1863. Ich empfinde jede Orgel an sich als etwas so Wichtiges, Künstlerisches, dass es mir beim Spielen vorkommt, als wären all die Pfeifen in meinem Bauch. Ich werde die Orgel. Die Akustik ist natürlich recht enorm in dieser großen Kirche. Die Chororgel wirkte sehr weit weg für mich. Wenn man direkt darunter steht, soll sie wohl angeblich spucken. Aber ich war wie Kilometer entfernt und habe doch Connection aufgebaut. Zu allen Werken möchte ich an der Orgel, an der ich spiele, Verbindung haben. Die Chororgel und die Walze (und der Schweller) waren meine besten Freunde. Und das Pedal ist herrlich übersichtlich und angenehm. Auch Max Reger war hier Gast!

Ich selbst weiß, das ich Potential habe, crazy gut zu spielen. Aber eine Orgel hat seine Tücken. Da ich nicht fünf Sekunden wartete, bevor ich die Chororgel nach der Hauptorgel anstellte, war ich plötzlich auf der Setzeranlage der Chororgel gelangt, die mit 99 beginnt. Das wusste ich nicht. Nur, dass ich keine Setzer mehr hatte. Daher stieg ich komplett auf die Walze um, die sehr fein und sensibel bedient werden muss und immer einen freien Fuß braucht. Mir macht die Walze viel Spaß.

Aber ich habe daraus gelernt: Habe ich das nächste Mal Probleme mit irgendeiner Setzeranlage: Die Orgel erst mal noch einmal ausstellen.

Zudem erkannte ich final: Meine Noten müssen übersichtlicher sein. Aus meinen Liszt-Noten kann nicht mal ich mehr spielen. Und das will was heißen. Sie sind im Grunde von meinen Reisen und von meinen Eintragungen und Überlegungen voll, verknickt, zerfetzt und zerlöchert. Manche Töne konnte ich heute nur noch erraten.

Es gab Registranten, die sich weigerten, bei diesen Noten Registrant zu sein. Sie sind natürlich ein Kunstwerk, aber sicher gäbe es auch Leute, die denken, ich hätte diese Noten mal eben aus dem Müll gefischt. Manche meinten, meine Noten sehen aus wie Regers handschriftliche Werke. Ob dies meine eigene Komposition sei. Ich muss also alle Noten doppelt haben. Auch einmal frisch für mich und für eventuelle Helfer. Auch meine Kopien gegen Blätterer müssen besser angeordnet sein. Ich gebe zu, ich bin gern oben allein an der Orgel, ohne Helfer. Doch so oder so: Die Kopien dürfen nicht “ins Gesicht der Noten” segeln und mich und Helfer “wahnsinnig” machen oder mir das Gefühl geben, ich muss so schief gucken, dass ich eine Nackenstarre bekomme. Dennoch genieße ich es, allein an der Orgel zu sein. So sehr, dass ich auf Blätterer, Registranten etc. verzichte und lieber alles allein mache. Mir sagte jemand, dass es absolut erforderlich ist, es auch allein zu können. Sich selbst allein zu registrieren, sich selbst zu blättern zu können. Früher wäre das wohl auch geprüft worden im Studium. Ich lasse eigentlich nur gern mir sympathische Menschen als Helfer zu (auch wenn das nicht immer geht). Ich brauche an der Orgel einfach viel Raum für mich und mag es nicht, wenn mir jemand auf die Finger starrt oder nervöser ist als ich. Heute aber hatte ich einen netten Blätterer bei Bach g-Moll 542 (auch wenn er einmal vergaß zu blättern).