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09. Mai 2009

Agenskalns-Kirche Alt-Riga

Die Improvisations-Meisterklasse in der großen weißen Agenskalns-Kirche am anderen Ende der Stadt und des Flusses war ein Genuss. Ich hatte einen kleinen braunen Flügel, einen Babygrand, und sprach in deutsch und englisch, da viele Amerikanerinnen da waren; Zaiga und Ilze übersetzten ins Lettische. Es war eine junge Russin da, die nur Russisch verstand, so wurde ich von Natalija Munda, einer jungen Komponistin, ins Russische übersetzt. Es ging dadurch alles ein wenig langsam und doch geordnet zu. Ich erzählte darüber, was für mich als Musikerin Kreativität bedeutet, sowohl in der Interpretation klassischer Werke als auch in ganz neuen, eigenen Wegen: in Komposition, Improvisation und Songwriting. Wie lange der Prozess bei mir gedauert hat, mich zu trauen, Neues zu wagen und zu finden, kreativ zu sein außerhalb von Leistungsdenken, Bewertung, Wettbewerben und Konkurrenz, mich zu lösen von der Norm, auch von den festen Rahmen von Musikhochschulen und CD-Einspielungen, wie etwas zu sein, zu klingen hat.

Für mich ist es besonders inspirierend und dringlich, zu jungen Musikern zu sprechen. Sie verstehen mich vielleicht noch einmal in einer ganz anderen Tiefe. Ich sprach auch davon, was für Regeln zu beachten sind, auch in Technik, Harmonien, in der Logik einer Sprache, da Musik Sprache ist, auch dort muss man Grammatik und Verben kennen. Zuerst übten wir, in zwei Harmonien zu bleiben und zu improvisieren.

Die Akkordeonistin improvisierte wunderschön und sang ein eigenes Lied dazu in wehmütigen, doch goldenen, hoffnungsvollen Klängen. Sie erzählte, sie hätte zuerst ein Bild im Kopf gehabt: Eine Prinzessin, die weint, die Tau auf ihrem Gesicht hat. Es kam ein Mann und sagte: Warum bist du so traurig, Prinzessin? Der Tau steht dir nicht. Aber die Sonne steht dir! Weine nicht mehr, die Strahlen der Sonne werden den Tau auf deinem Gesicht trocknen. — Aus diesem Bild entstand eine Melodie, dann der konkrete Text. Ich war überwältigt: es klang so schön in Lettisch.
Ein weiteres Puzzlestueck in meinem Leben wurde eingefügt und berührte meinen Geist.

Ich hätte nie gedacht, dass Akkordeon ein so herrliches Instrument ist und so gut harmoniert mit Klavier. Jedes Instrument ist eine Gabe des Himmels, wenn es gut gespielt wird — jedes Instrument. Liene erzählte mir, dass sie erst mit zehn Jahren begann, und da blieb für sie damals nur das Akkordeon übrig in der Musikschule. Und nun ist es ihr Instrument — ein seltenes. Es ist berührend zu sehen, wie diese zarte, kleine Frau ein so grosses Instrument beherrscht und auf den Knien hält. Da hat sich jemand was besonderes ausgedacht! Es ist nicht leicht, zu seinem eigenen Instrument zu stehen; es ist oft eine Art Hassliebe. Viele Musiker haben insgeheim eine Liebe, eine Sehnsucht zu einem anderen Instrument, zum Beispiel viele Geiger nach dem Klavier; viele Pianisten sehnen sich nach der Geige oder nach der Orgel, ich auch; man braucht zwei Instrumente.
Die Basis für die Improvisation ist natürlich die Stimme. Eine lettische Pianistin sang mit heller, fast schneidend schöner Stimme ein lettisches Lied. Ihre Klänge sind in angenehmer Weise melancholisch. Sie wiederum hatte zuerst die Melodie und dann den Text, allerdings fast gleichzeitig.

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