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12. April 2022

Warum sollte ich Fische, Zwiebeln und Biergläser malen? Mädchen sind so viel hübscher. (Marie Larencin)

Französische Malerin. Heute erinnere ich auch an Gesa Krause, deutsche Leichtathletin mit enormem Lauftalent.

Wenn ich über Kirchenmusik nachdenke, fällt mir auf, dass die Gottesdienst-Ordnungen oder Agenden sehr streng sind, so zumindest aus meiner Sicht. Das war früher noch viel strenger als heute, wo es seit ca. 20 Jahren das Evangelische Gottesdienstbuch gibt: Hier gibt es mittlerweile Alternativen zur strengen, stabilen Ordnung, aber auch diese Alternativen sind begrenzt und festgelegt. Man könnte die Ordnungen ein Stück weit als reglementiert bezeichnen. Heute ist es immerhin theoretisch möglich, dass die Kirchenmusikerinnen eigene Lieder aussuchen und sich aktiv und kreativ beteiligen am Gottesdienstgeschehen. An manchen Orten passiert das auch. Letztendlich ist die Gottesdienstvorbereitung Kommunikation und steht und fällt mit der Zusammenarbeit mit den anderen, insbesondere mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer. Diese Zusammenarbeit aber scheint nicht immer auf einer Augenhöhe, zumindest nicht arbeitsrechtlich, was eine Zusammenarbeit schwierig machen kann, denn der Pfarrer ist der Chef. Es ist aber nicht nur diese Zusammenarbeit, sondern auch die Agenden und Regeln an sich, die beflügeln oder ausbremsen können. Zusätzlich gibt es noch den Gemeindekirchenrat, der bestimmt. Hier befinden sich natürlich auch Laien. Man kann also noch so gut Kirchenmusik studieren, letztendlich bestimmt die jeweilige Stelle Gedeih und Verderb des Kirchenmusikers, je nachdem, auf welchen Pfarrer (ist sie musikalisch oder nicht, freundlich, flexibel und gläubig oder nicht) und auf welchen Kirchenrat frau oder man trifft. Ich habe einige Theologen kennengelernt, die von Liturgik und liturgischem Singen nicht viel halten und das auch nicht verstehen oder können.

Wenn ich auf “moderne” Lieder schaue, zum Beispiel Simon  & Garfunkel, “American Tune”, auf dem wundervollen Choral “Oh Haupt voll Blut und Wunden” (“Passion Choral” genannt) fußend, dann merke ich, dass solche säkularen “Choräle” oder säkularisierten Kirchenlieder als Protestlieder oder Studentenlieder die Massen mehr erreichen als die Choräle von Bach. “I’m trying to get some rest.” Doch der Anklang der Melodie “Oh Haupt voll Blut und Wunden” verbindet schon mit Jesus. Die Hoffnung geht über die alte schöne Melodie, auch wenn sie umgeformt wurde, so dass der “American Dream” die Hoffnung wird, nicht das Evangelium.

Ich finde es schön, wenn sich Text und Melodie in Kirchenlieder vereinigen. Oder wenn sich Text und Melodie gegenseitig auslegen, also unterschiedliche Texte zu einer bekannten Melodie im Gesangbuch gesungen werden, wie Choral-DJs. Das setzt natürlich viel Kenntnis von Kirchenliedern voraus. Genau damit beschäftigt sich die Hymnologie (Lehre vom Kirchenlied), mit Umtextungen, Contrafactus. Für mich ist es so: Wenn die Liturgik sich nicht zu einem Großen, Ganzen verschlingt, so wie bei Bach: Krippe und Kreuz in einer Einheit, dann hat man die Liturgik nicht verstanden, dann sind es immer nur Häppchen ohne Sinn und Verstand, Floskeln. Das Kirchenjahr macht nur im Gesamtzusammenhang Sinn, und zwar auch in dem jeweiligen Abschnitt. Sonst passieren keine Wunder, keine geistliche Erkenntnis, keine spirituelle Kunst. Bach war hervorragend darin, die Liturgik aus der Strenge zu lösen und sie doch einzuhalten. “Oh aller Welt verlangen – wie soll ich dich empfangen?” Bach hatte vor der Strenge keine Angst, und er fühlte sich nicht von ihr ausgebremst. Wie hat er das nur geschafft? Er hat seinen eigenen Stil in dieser Strenge gefunden. Er hat in seinen Chorälen die Durchgänge perfektioniert und seinen Weg gefunden.

Der Aufbau und die Ordnung von Liturgik ist streng und knapp auf den Punkt gebracht, manchmal geradezu nüchtern. Wie ein System. Es ist sehr geordnet, was im Gottesdienst und im Kirchenjahr passiert. Es gibt Sammlungen und Lieder, die chronologisch geordnet sind, dazu Gebete, an denen man nicht rütteln kann, wie Tages- bzw. Kollektengebet usw. (wer Gott ist in dieser jeweiligen Zeit, eine dazugehörige Bitte zum Kirchenjahr und die Dreifaltigkeit zum Schluss). Ablauf, Introitus, Votum, Liturgie, Dialog. Eröffnung und Anrufung. Verkündigung und Bekenntnis. Es gibt zwar Schwerpunkte und Ausformungen, aber die Grundstruktur als Modell, Rüstzeug und Raster ist nicht rüttelbar, und das schon seit Jahrhunderten, wenn auch ein wenig von Kirche zu Kirche anders, aber festgelegt in der Agende, ein bisschen wie im Alten Testament. Ich verstehe, dass es nicht beliebig oder chaotisch sein soll, was im Gottesdienst geschieht, und dass eine Struktur auch Sicherheit bringt – aber die Philosophie hinter dem Ganzen ist sehr männlich und besitzt nicht die größten Entfaltungsmöglichkeiten. Früher gab es null Spielraum, siehe Johannes Bugenhagen, mittelalterliche Messen, preußische Agende, alte Missalen von 1503. Biblische Gesänge. Genfer Psalter. In diesem engen Raster Kunstformen zu finden, das ist gar nicht so leicht. Ich verstehe immer mehr, dass Künstler und Kirchenmusiker von Natur aus Feuer und Wasser sind. Der Kirchenmusiker sucht sich nicht umsonst einen Beruf und auch ein Studium aus, in dem er so eng an der Kandare gehalten wird. Er braucht Ordnung und Sicherheit. Er hasst Chaos und Unordnung. Ein Künstler dagegen braucht auch Unordnung und Chaos, er braucht nicht nur Sicherheit, sondern vor allem Freiheit. Dennoch lasse ich mich an die Kandare nehmen, vielleicht weil ich spüre, dass es mich dennoch anzieht: Denn es ist ja trotz seiner Strenge das Vielfältigste überhaupt. Ich glaube, man wird nirgendwo so umfänglich musikalisch ausgebildet wie im kirchenmusikalischen Studium. Allein die Orgel und ihr Spektrum an Repertoire und Geschichte bietet enorm viel Bandbreite. Vor allem, wenn man vorher Klavier studiert hat. Als Sahnehäubchen kommt dann noch Dirigieren dazu. Wobei das Sahnehäubchen eher eine Haube wird. Eine Sahnehaube. Eine dicke Sahnehaube. Allein Hymnologie und Liturgie umfassen sämtliche weitere Wissenschaften wie Theologie, Musikwissenschaft, Sprachwissenschaft usw. Und öffnet eine weitere Tür hin zur Theologie. Es ist nur wichtig, dass man nicht Floskeln frömmelt und einem Dogma dient.

Ist es nicht erstaunlich, dass früher der cantus firmus im Tenor und nicht im Sopran zu finden war? Es sollte damals wohl besser die (hohe) Männerstimme den cantus firmus führen. Aber Gott hat es so eingerichtet,  dass die hellen Frauenstimmen immer mehr gehört werden als egal welche Männerstimmen. So wurde der cantus firmus dem Sopran gegeben.

Erstaunlich finde ich auch, dass sich Bach von den Kirchentonarten so komplett gelöst hat. Ich mag dorisch und phrygisch sehr gern. Aber Bach konnte damit nicht viel anfangen?

Foto: Geniale Walcker Orgel Hoffenheim

Neu: Orgel-Information Walcker Orgel Hoffenheim

Eine meiner Lieblingsorgeln:

Walcker Orgel Hoffenheim bei Heidelberg

Das krasse Gegenstück dazu, was ich fast am selben Tag spielte (weswegen Bossert und ich aneinander gerieten): Die Universal-Orgel in Zülpich bei Köln:

Weimbs Orgel Zülpich bei Köln

Silbermann Orgel Glauchau

Eine Antwort auf “12. April 2022”

  1. Mit Kirchenmusik gegen den Krieg
    Das schenkt Hoffnung

    https://eulemagazin.de/mit-kirchenmusik-gegen-den-krieg-das-schenkt-mir-hoffnung/

    Eule: Deine Familie lebt in der Ukraine, Du studierst in Herford Kirchenmusik. Wann hast Du mit der Musik begonnen?

    Lytvishko: Ich wurde mit Drei ans Klavier gesetzt, aber so richtig drangeblieben bin ich dann mit acht Jahren. Unsere Eltern haben Wert darauf gelegt, dass wir schon auch was lernen und nicht nur draußen spielen – das habe ich aber am liebsten gemacht! Ich habe dann eine Musikschule und schließlich eine Klavier-Ausbildung besucht.

    Eule: Waren Deine Eltern da also sehr hinterher? Es gibt ja dieses Klischee von der „sowjetischen Musikerziehung“, die als sehr streng gilt.

    Lytvishko: Nein, eigentlich nicht, und ich finde solche Pauschalisierungen auch schlecht. Kindern sollte die Möglichkeit gegeben werden, zum Beispiel ein Instrument zu lernen. Sie müssen ja auch in die Schule gehen, da könnte man ja auch sagen: Armes Kind, bleib doch zuhause! Für Kinder ist es wichtig, ihnen Möglichkeiten zu geben, sich auszudrücken und sich weiterzuentwickeln.

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