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30. September 2021

Wenn man Gott nicht findet, sagt das sehr viel mehr über einen selbst aus als über Gott. (AHS)

Heute besuchten und spielten wir die neue schöne Jörg Bente-Orgel von 2017 im Kloster Walkenried im Harz in Niedersachsen. Es war meine erste Bente-Orgel. Früher gab es im Kapitelsaal nur ein Positiv, dann eine kleine Engelhardt/Kiessling-Orgel, später Kemper, dann Hammer. Die riesige Klosterkirche (90 m lang, 30 m hoch) wurde im Bauernkrieg 1525 zerstört, aber die anderen Gebäude und der Kapitelsaal der Mönche blieben leidlich erhalten und wurden Stück für Stück restauriert. Der Kapitelsaal wird nun auch für Konzert und Gottesdienst benutzt. Mönche gibt es seit der Reformation leider keine mehr hier, die Kirche ist nun evangelisch. Luther aber kam nur bis Nordhausen. Der dunkle, jedoch schöne, feine Kapitelsaal besitzt eine besondere Atmosphäre, besonders, wenn er von Kerzen erhellt ist. Die neue Bente-Orgel zeigt sich in zwei Stufen: Einmal das HW von rechts oben, und das zweite Manual ist weiter hinten, dort, wo auch der Spieltisch versteckt und geschützt liegt. Die helle Orgel duftet neu nach Holz und ist von Orgelbau Bente aus Helsinghausen bei Hannover für ca. eine halbe Million Euro hervorragend gebaut worden. Auch innen in der Orgel sieht alles einwandfrei aus und zeugt von hoher Qualität, eine eigene Welt, Kunsthandwerk pur, ein Kunstwerk, das versteckt wird, so ist das Innenleben einer wunderbaren Orgel. Die Orgel besitzt viele warme und zarte Achtfüße, zwei Manuale, ist leichtgängig, jedoch hat Griff, Biß und Halt, die Tasten sind absolut gleichmäßig wie bei einem Steinway; auch wenn sie keinen Schweller hat, eignet sie sich sehr für romantische Musik. Sie mußte in einem recht niedrigen und engen Raum und unter Maßgaben des Denkmalschutzes eingepasst und auch farblich dementsprechend gestaltet werden, was sicher nicht ganz einfach war. Von der Orgel aus sieht man auch den Kreuzgang mit seiner hervorragenden Akustik. Die Akustik im Kapitelsaal ist dagegen eher samtig trocken, vor allem bei Publikum. Man trifft nicht immer Orgeln an, die so zarte, leise Farben haben und so ausgeglichene Tasten.
Nach der Reformation beherbergte das Kloster eine Klosterschule. Daraus ging Eckstorm hervor, der lange Rektor war.
Die riesigen Ruinenteile sind beeindruckend. 
 Walkenried war einmal Nabel der Welt im Mittelalter. Heute beherbergt das Kloster ein modernes, sinnliches Museum zur Zisterzienser-Geschichte, von Frauen gestaltet. Frau Haußecker kümmert sich sehr um die Orgel.
Nach der Reformation traf sich regelmäßig im Kloster das evangelische Konvent der Grafschaft Hohenstein. (Die Grenzen waren damals anders.)

Ich spielte dann ebenfalls die große, schöne, klassizistische und dennoch auch romantische Andreas Engelhardt-Orgel von 1845 mit 36 Registern in der evangelischen Nicolaikirche (ebenfalls 1845) in Herzberg im Südwestharz in Niedersachsen. Sie ist eine der wenigen klassizistischen Orgeln der Welt. Die große Kirche St. Nicolai ist hell, weiß, sauber, weiträumig, mit zarten Goldornamenten verziert. Dabei wirkt sie sehr edel, keineswegs kitschig, so auch die Orgel, die perfekt hineinpasst. Um die Orgel wurde ein Gitter zum Schutz gebaut, weil die Empore früher schmaler war und der Weg der Organisten nicht ungefährlich. Dieses weiße, filigrane Gitter blieb historisch erhalten. Zudem besitzt die zweimanualige Engelhardt-Orgel, die größte besterhaltenste (die große dreimanualige in Goslar (Niedersachsen) wurde leider als „abgängig“ bewertet und zerstört, was ich persönlich unmöglich finde; jedoch bekam diese Kirche dann eine schöne Schuke Potsdam Orgel) zwei Tritte beim Pedal, die die linke Seite der Register samt Koppeln und Zungen „abstellen“ kann. Dies ist besonders, ich habe so etwas noch nie gesehen. Obwohl auch diese Orgel keinen Schweller besitzt und zudem wenig leise Achtfüße, kann man sehr schön hier Mendelssohn und Liszt, aber auch süffigen Bach spielen. Die Akustik ist nicht zu trocken. Der Klang ist ausgewogen, warm, füllig und sehr angenehm. Die Tasten waren nicht immer ausgeglichen.
Im Museum des Welfen-Schlosses Herzberg ist Engelhardt ein eigener Museumsraum gewidmet und eingerichtet.
Dies war meine erste Engelhardt-Orgel. Danke an alle sehr netten Kantoren.

Unten im Saal steht auch eine sehr feine, italienisch anmutende Barockorgel von 1743 (Orgelbauer unbekannt), frisch renoviert und bemalt, ein wunderschönes Schmückstück, von Orgelbau Janke hervorragend betreut und restauriert. Ahrend und Janke sind geniale Firmen, was Restaurierung von Orgeln angeht. Hierzu braucht man enormes Geschick und Wissen. Ich bin froh, dass Orgelbau Ahrend vom Sohn Hendrik weitergeführt wird. Dieser weiß alles. Auch das singende Prinzipal der Schnitger-Orgel von Hamburg ist eine Glanzleistung von Hendrik Ahrend.

Niedersachsen ist ja sehr nah am heutigen thüringischen Harz, von dem wir gekommen sind. Hier im Westen (Westharz) ist viel Geld für Orgeln vorhanden. Jedoch im Südharz Thüringen/Sachsen-Anhalt sind viele Orgeln (annähernd die Hälfte aller Orgeln) zerstört oder unspielbar. Dies ist nicht hinnehmbar, finde ich. Ich hoffe, dass sich die jeweiligen Gemeinden (trotz massiver Säkularisierung) dazu entscheiden, das Geld zusammenzutrommeln, das für die Restaurierungen benötigt wird. Dazu braucht es Kraft, Zeit, Enthusiasmus, Ausdauer und vor allem Glaube.

Auf dem Weg nach Herzberg besichtigte ich auch die Schlosskirche von Klettenberg (Thüringen). Auch dort gab es einmal eine Orgel von Friedrich Knauf, die leider aufgrund von Baufälligkeit der Kirche (eingestürztes Dach) zerstört wurde, was einem in der Seele weh tut. Stattdessen steht nun ein Notbehelf (Keyboard) dort. Der Verein aber konnte zumindest einiges andere Wertvolle erhalten und die Kirche instandsetzen. Die ehemalige achthundertjährige Grafenburg wurde leider auch zerstört. Dort ist nicht mal mehr ein Schild des Denkmalschutzes aufgestellt, was eigentlich eine Schande ist.

In Klettenberg gibt es auch ein Gehege mit Rehen, Hirschen, Enten, Gänsen, Albinorehen, Muffelböcken etc. Die Gegend insgesamt ist von Karst geprägt (verwittertes Gipsgestein) mit romantischen Senken und kleinen Seen. Überall sind Pferde und Kühe glücklich auf sehr großzügigen Weiden.

Wir besuchten auch die größte spielbare Friedrich Knauf Orgel der Welt von 1837 (erneuert 1898 vom Neffen Robert Knauf) in Bleicherode, einer schönen Kleinstadt nicht weit von Limlingerode. Der letzte Knauf in Bleicherode, Roberts Sohn Ernst Knauf, starb sehr früh mit 35 (1904). Ein Mitgesellschafter (Friedrich Johnson aus Nordfriesland) übernahm die Firma und ging aber schon 1908 in Konkurs. Dann gründete Knaufs ehemaliger Mitarbeiter Jakob Kießling mit den Söhnen Georg und Ernst in Bleicherode eine eigene Firma, die die Knauf-Orgeln weiter betreuten. Und dieser Kießling mit Söhnen ging 1939 in Konkurs. Damit Ende des Orgelbaus in Bleicherode. Die romantische Knauf-Orgel in der evangelischen Marienkirche Bleicherode gehört zu den schönsten Orgeln überhaupt. Es ist sehr schade, dass die Firma Knauf 1908 erloschen ist. Ihre Schachfiguren-Registerzüge (auch die freien Kombinationen oben), zwei Manuale, Handregister, Auslöser, die Chöre einzeln als „Setzer“ (aber kein Zungenchor), der schöne Spieltisch und die warmen, dunklen, süffigen Klänge, nichts grell oder scharf, in einer ausgewogen zarten Akustik machen diese Orgel zu einem Glanzstück. Die Kirche wirkt hell, rund, angenehm „leer“, und von der Orgel aus sieht man die Palmen im Spiegel. Auch für Bach ist die Orgel gut geeignet, auch wenn die Tasten nicht ausgeglichen sind.
Damit muss man bei historischen Orgeln einfach klar kommen. Der Klang ist wie dunkle Bitterschokolade, jedoch auch wuchtig, warm. Der Bruder Gottlieb hat eine eigene Firma gegründet (bis 1939 weitergeführt) und versorgte die ganze Gegend mit Orgeln.

Insgesamt erkundete und erspielte ich in diesen wenigen Tagen 11 Orgeln – sehr viel… alles außergewöhnliche Instrumente, durch die ich viel gelernt habe.
Morgen berichte ich von Heringen (größte erhaltene Schulze Orgel) und der wunderbaren Emil Reubke Orgel in Görsbach (Goldene Aue).

400 Jahre Orgelbau allein in Nordhausen! Der Harz, der sich über drei Bundesländer zieht (S-A, T, NS) hat viel zu bieten.

Engelhardt Orgel Herzberg

Beautiful Andreas Engelhardt Orgel Herzberg, Niedersachsen, Harz, ev. St. Nicolai – Orgel Date AHS

2 Antworten auf “30. September 2021”

  1. Andreas Friedrich

    Die ausführlichen Schilderungen und die veröffentlichten Videos zu deiner Orgel-Rundreise durch Nordthüringen und Niedersachsen in deinem Mitternachtsblog spiegeln sehr deutlich deine unbändige Leidenschaft für diese Klangkörper wider. All das super gemacht! Ich bin stolz auf dich und freue mich mit dir, dass du dein besonderes musikalisches Talent an diesen altehrwürdigen Instrumenten anwenden und vervollkommnen darfst.

  2. Mönche gibt es (noch) in Tholey in einem fuktionierebden abtswahlfähigen Konvent, anders als z.B. in Maria Laach. Und gesegnet durch inspirierende Fenster und neue Orgel. Aber.. na ja, Wissen MACHT.

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