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25. März 2020

Man bewältigt ein Gebirge und stolpert über einen Stein. (Gertrud von Le Fort)

Ich gehe kaum ohne Orgelschuhe aus dem Haus. Noch vor drei Jahren undenkbar, wäre komisch gewesen. Doch jetzt: Schöne Normalheit. Normalzeit. In einer bizarren Zeit. Nun gehe ich aus dem Haus, wenn ich zum Zahnarzt gehe. Mit Orgelschuhen. Da man sonst nicht aus dem Haus gehen darf, gehe ich jetzt jeden Tag zum Zahnarzt. Nein. Ich mag Zahnarzt nicht.

Die vorletzte Orgel der Tour, am 21.3. dann spielte ich einige Stunden an der wundervollen, mächtigen, dreimanualigen Trost-Orgel von 1724 in Waltershausen, Thüringen, der größten Barockorgel Thüringens, an der man auch (mit zwei Bio-Setzern=Menschen) klanglich perfekt mit etwas Umarbeitung Liszts B-A-C-H spielen kann, und natürlich Bach, Mozart, Mendelssohn…

Die Fugara ist hier eine Flöte, normalerweise Streicher. Die Mixturen sind fett, groß und tief. Super Zungenbatterie. Die langen Register bestehen aus dicken, bunten Chiptalern wie aus dem Casino. Die grünen sind für das Hauptwerk in der Mitte und oberhalb des Spieltisches. Die braunen sind in der Mitte und für das Pedal. Die roten sind außen für Brustwerk und Oberwerk.

Wir fuhren über die A71 und A4 nach Waltershausen. Der Kantor Theo ist super. Ich bin, obwohl die Orgel schwer zu spielen ist, sofort sehr gut mit dieser zurecht gekommen. Theo sagte, es sei erstaunlich, wie schnell ich mit ihr zurecht gekommen wäre, das würden die wenigstens können. Die meisten haben Angst vor dieser Orgel.

Cembalisten kämen gar nicht mit ihr klar. Das Hauptwerk ist sehr schwergängig, alles sehr weit auseinander gezogen, man muss als kleine Frau die Arme enorm strecken, vor allem das oberste dritte Manual ist weit weg (mit den herrlichen Farben), und das Pedal ist doppelt so breit und weit als bei “normalen” Orgeln – und dazu lässt sich die Bank nicht verstellen, ist viel zu hoch für kleine Frauen. Um zu D und C im Pedal zu kommen, muss man sich zu beiden Seiten enorm strecken wie auf einer Streckbank.

Dazu kommt, dass man die Töne des Pedals mit ziemlichem Gewicht drücken muss – beim kleinsten Nachgeben des Beines lässt der Ton sofort nach. Und die tiefsten Töne, die so unendlich weit weg sind, kommen klanglich auch noch verspätet. Ob der wundervolle Trost dies alles absichtlich gemacht hat? Nicht um Frauen zu ärgern, denn damals gab es wohl keine Frauen an den Orgeln, aber er haßte den Organisten Ritz, für den er bauen sollte.

Dieser Ritz hat ihm das Leben zur Hölle gemacht. An der Orgel hat er kaum etwas verdient. Ritz wollte Trost sogar an den Galgen bringen. Daher ließ der liebe Trost auch zwei schwarze Teufel an die Seiten des Spieltisches bauen. Früher hatten diese Teufelsgesichter weiß blitzende Zähne und Augen und lange Hörner, dass sich Organist Ritz sehr schnell ritzte beim Spielen.

Nun sehen diese schwarzen Gesichter eher mahnend aus, dass man Orgelbauer gut behandeln sollte, denn diese sind Künstler. Ritz hat vergessen, dass man ihn nicht mehr kennen wird, Trost aber schon. Mir gefielen sehr die Flammen zwischen den Pfeifen, auch bei den Pedalpfeifen.

Die Trost-Orgel ist ein experimentelles Wunder. Die erste Orgel mit so vielen Grundtönen und Achtfüßen – sieben Achtfüße und drei Sechzehnfüße (!), dazu überblasene Flöten: Die Vorlage zu allen romantischen Orgeln.

Ich spielte überall meine Bach-Trio-Sonate d-Moll und Bach 542 und Piece d’Orgue,  so konnte ich die Unterschiedlichkeit der Orgeln am besten spüren. Denn jede Orgel ist völlig anders. Wie ganz anders zur Trost-Orgel dann eine Stunde später die Walcker-Orgel in Ilmenau!

Es ist erstaunlich, dass die Trost-Orgel jünger ist als die Ladegast-Orgel in Rudolstadt, das wirkt nicht so. Das liegt natürlich an der Restaurierung der Ladegast 1882. Nur die Vorgänger-Orgel ist von 1636.

Bach liebte nachweislich Trost-Orgeln. Es gibt nur vier erhaltene Trost-Orgeln überhaupt: Altenburg, Großengottern, Eisenberg und Waltershausen. Ich bin nun auch Fan von diesem Tobias Heinrich Gottfried Trost.

Auch die Ladegast-Orgel in Köthen liebte ich, an der ich abends am 19. spielte. Sie ist männlich, tief, dunkel, aus braunem Holz geschnitzt und mit brausenden Klängen. Ganz anders die helle und weibliche Schuke-Orgel in der Margarethenkirche in Gotha am Morgen, in der auch Bach war.

Diese ist glockig brillant, lächelnd, fein und ganz anders mächtig. Mir wurde sogar Tee und Kaffee nach oben gebracht, es war eine wundervolle Zeit in dieser Kirche, in der unten der Chorraum und das Pfarrbüro direkt in der Kirche sind, durchsichtig in Glaswänden, was ich sehr schön und einladend finde. Jede Kirche hat ihr Bonbon.

Ich mag die alte Platten, von Perahia, vom Evangeliums-Rundfunk… – so nett und beruhigend. Ich mag auch von Janacek die Glagolitische Messe (Platte).

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