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11. November 2019

Italienische Orgeln, italienischer Stil, Durezze e ligature und Frescobaldi

Ich mag ihn sehr, den italienischen Stil, den Prototyp für die Orgel aufgrund der immer durchklingenden Dissonanzen, die auf der schweren Zählzeit, der Eins erklingen: Durezze e ligature (Durum und Überbindungen), wobei es um die Dissonanzen in dem Dur geht. Die Toccaten stehen in prachtvollem glänzenden Dur (oder lösen sich in die piccardische Terz am Schluss auf), der Anfang ist frei. Das strenge Taktmaß des vierstimmigen Satzes verschwindet, fängt an zu schweben. Diese Dissonanzen sind die Wunde in der Musik. Ich mag das Schwingende, die Mediation, die Ruhe, die Gravität, die Schatten der Dissonanzen, das Spirituelle und Mystische: Die (Ver)wandlungs-Toccaten, in denen die Dissonanzen für die Wunden Jesu, für das Kreuz stehen (Elevation, wenn die Hostie hochgehalten wird). Die Toccaten, die mit ihren schwer-leicht-Gefällen, den Dissonanzen auf der Eins (unterschiedlich zu gewichten und zu behandeln) oft Elevations-Toccaten sind, im weichen Prinzipalsound gespielt. Gedackt gab es nicht. Es gibt kein Legato, kaum freie Triller (Verniedlichung), keine Deko, aber Chromatik und Dissonanzen und den Kairos (griechisch: das göttliche Zeitmaß) in der Freiheit, und das Spontane, Lebendige und Unberechenbare (und das in Rom!): Frescobaldi ist eine Art Vorstufe zum Stylus Phantasticus und zum Rezitativ allerdings hat bei Frescobaldi der Takt natürlich eigentlich keineswegs Feierabend. Wenn man das Notat sieht, könnte man nicht auf die Idee kommen, das Stück würde frei schwingen. Die Zeitgestalt ist das Spannende, ihre Relationen.

Dur ist hart, Moll ist weich- hier ist es gut zu hören. Bach mochte den italienischen Stil auch und kannte ihn gut (siehe auch das Italienische Konzert mit seiner Sarabande (Abendmahl, Liebeslied)). Drei Bäche vom Urbach Ambrosius ausgehend waren auch in Italien gewesen. Davon werden sie sich in bächischen Zusammentreffen berichtet haben. Bach hat auch Frescobaldi abgeschrieben, besonders Fiori Musicali, den musikalischen Blumenstrauß.

Für Bach ist Tanz innerlicher Tanz, kein körperlicher, sondern Andacht, ein Tanz von Seele und Geist, ein verinnerlichter Tanz, ein Schwingen. Bach ist zudem der einzig perfekte Musikwissenschaftler, denn er hat alle Gattungen, Stile und Formen durchdacht, präsentiert, unterschieden und künstlerisch umgesetzt. Auch seine Passacaglia c-Moll ist eine Sarabande, eine Verbeugung vor 1 und 2 (Gott und Mensch, und die 3 schwingt: der HG).

Leider wurde die Bach-Abschrift von Frescobaldis Fiori im Zweiten Weltkrieg verbrannt.

Man spürt bei Frescobaldi schon den Übergang zu Drama, Oper, als das strenge Taktmaß sich zu verschieben und zu verabschieden begann, als man anfing zu fragen: Wer bin ich? und nicht nur: Wer ist Gott? (wenn man sich das wirklich gefragt hat) und zum Wechsel hin zur Gefälligkeit auf der anderen Seite, den Jahrhundertumschwung, die Revolution. Bei Frescobaldi ist das Schwingen des strengen Taktmaßes also keine Weltlichkeit.

Die italienische Orgel ist eine labiale Orgel mit angehängtem Pedal (aber mit Pedalpfeifen), keine Mixtur, eine helle Orgel, mi Voce Umana (Schwebung), keine Streicher, manchmal Zungen (Trompete), keine Gedeckten, eine Reihenstil-Orgel (Ripieno), mit Flöten und Quinten (aber keine 2 2/3 Quinte). Italienische und spanische Orgeln sind zwar keine “bachfähigen Orgeln” (wie die Orgelbewegung sagen würde), jedoch absolut wichtig, auch für Bach. Sie gehören zu unserer Orgelgeschichte.

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