Startseite Nach oben

Ann-Helena Schlüter

9. November 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Musikinterpretation

Die Partitur ist nur ein Notat – natürlich wichtig, aber eine Krücke; in den Noten steht nicht das, um was es eigentlich geht. Man muss zwischen den Zeilen lesen, wie die Musik gemeint ist und klingen soll. Nach einer Weile liest man sozusagen die Musik aus dem Notat heraus. Aber eigentlich ist dies das Geheimnis, das verinnerlichte künstlerische Geheimnis, der Klang, das Herz, die Vision – wie die Pfeifen das Kernstück einer Orgel sind.

Interessant ist es, den Würzburger Abbe Vogler und seine Präludien zu spielen. Man kennt ihn kaum. Mozart kannte den Älteren, der mit Walcker zusammenarbeitete (Effekte statt Pfeifen). Ich bin übrigens schon immer fasziniert von der Orgelgeschichte Eberhard Walkers und Eberhard Friedrich Walckers. Es war nicht nur der Zweite Weltkrieg und seine Bomben, sondern die sogenannte “Orgelbewegung” (die noch heute in den Köpfen vieler herumgeistert), die bedeutende romantische und frühromantische Orgeln verstümmelte und zerstörte. Dies hat natürlich Walckers Orgeln besonders betroffen. Walcker war der Pionier, noch vor Cavaille-Coll, er war der Genius; dennoch reden seit ca. 30 Jahren alle nur von Cavaille-Coll und haben den deutschen Genius vergessen, den selbst Cavaille-Coll (als der Jüngere) größte Ehre aufwies und ihn nachahmte. Walcker wurde missverstanden und vergessen. Dabei ist er wirklich etwas Besonderes, wie man allein in Hoffenheim erkennen kann. Es ist leider typisch für Deutsche, andere Länder wie Frankreich zu feiern als ihr eigenes. Als hätte Deutschland nicht wunderschöne romantische Orgeln gebaut!

8. November 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Kadenzen, Harmonisierung, LO (Liturgisches Orgelspiel)

Pianisten haben eine ganz andere visuelle Lesekraft von Musik als Organisten. Ich erarbeite mir beides. Vierstimmige Sätze sofort zu lesen gehört in die Kategorie der Organisten. Auch der Umgang mit Kadenzen und Stimmführungen ist ein anderer im Orgelleben sowie der Umgang allgemein mit der linken Hand. Wie spielt man Abbe Vogler (Würzburger Komponist!) aus dessen “schiefen” Partitur? Durch die Orgel lerne ich nicht nur ein Hören von Kadenzen, sondern auch ein aktives Kennen; ein bewusstes “Arrangieren” der linken Hand. Da bei der Orgel meine Art von Virtuosität wegfällt, kann und muss ich mein Augenmerk hier auf andere Dinge lenken, die mir natürlich auch für das Klavier Rendite bringen.

Es mögen Basics sein, aber Basics sind vielleicht doch das Entscheidende. Auf der einen Seite spielt man das Virtuoseste, auf der anderen Seite Kadenzen. Natürlich braucht man hier Lehrer mit viel Erfahrung, Geduld und Respekt, einen geschützten Raum, in dem man Fehler machen darf, und Lehrer, die Hochachtung vor Pianisten haben und Pianistinnen nicht hassen. Gruppenunterricht hilft. Und Kadenzen sind nicht langweilig. An ihnen übt man auch Registrierung, Manualwechsel, Artikulation (Gambe…), Transponieren, Improvisieren, Konzentration.

Das Improvisieren von barocker Musik braucht viel Erfahrung und Wissen. Wie erkennt man Tanzsätze von Suiten? Wie ist das harmonische Gerüst?

Lagen, Stimmführungen, Erweiterungen. Wie vermeide ich Parallelen? Und es kann Spaß machen. Natürlich habe ich viel aus dem Bauch und aus Instinkt und Kreativität getan, aus Intuition. Das muss ich nicht üben. Ich übe die andere Seite meines Gehirns. Und diese braucht Training. Tonleiter harmonisieren und Kadenzen artikulieren ist schön. Jedenfalls sage ich mir das jeden Tag.

Durch die Orgel ist meine ganze Auffassung von Dynamik, Harmonien und Artikulation revolutioniert worden.

Besonders gut sind natürlich immer die Stücke, die sowohl auf der Orgel als auch auf dem Flügel als auch auf dem Cembalo gehen: zum Beispiel Bachs Italienisches Konzert, das perfekte Stück. Und auch am Cembalo kann man Farben einstellen: Vierfuß, Koppeln oder nicht, Manualwechsel.

7. November 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Lutherkirche Leer, Ostfriesland, Ahrend-Orgel von 2002

Die Lutherkirche mit niedriger Decke ist sehr besonders. Die dreimanualige Ahrendorgel thront mit Rosen, Girlanden und Rosengirlanden verziert über allem. Goldene Rosen auf den silbernen Pedalpfeifen an den Seiten! Es gibt Zungen (Trompete, Posaune, die berühmte Ahrend-Spezialität: die fünffach geöffnete Vox Humana), Flöten, die konischen Pfeifen wie Gemshorn 16, Nasard, die Spitzigen, Streicher (eine schöne Gambe), Schwebung und alles, was das Herz begehrt. Die sogenannten Unterscheidlichen. Dazu Vogel und Stern – beides die schönsten Zierdeklänge. Man kann ein wunderschönes Cornett zusammenstellen aus Rohrflöte 8, Spitzflöte 4, Nasard 3, Gemshorn 2 und Terz. Ich glaube, dass man hier sehr wohl auch Muffat spielen kann, da Gambe und Gemshorn wunderschön sind und genau die Farben haben, die man braucht. Außerdem stehen Ahrend-Orgeln auch in Süddeutschland. Farben können Gebiete einnehmen und ändern. 

In jedem Werk eine Mixtur 4-fach. Im Brustwerk ist diese allerdings in separat zu registrierende Reihen zerlegt, wie man das auch in alten italienischen Orgeln findet (dort “Ripieno” genannt). 

Natürlich bin ich wieder in das Innenleben der Orgel geklettert und habe mir die Vox Humana (Zunge) genau angesehen und vorsichtig in Händen gehalten. Die Vox Humana (mit ihren fünf Öffnungen) ist natürlich nicht zu verwechseln mit der Voce Umana oder Piffero (Schwebung).

In der Orgel sieht man die Posaune im Pedal (Holz), den Subbass (Holz, gedackt, mit Stöpsel) im Pedal, die tiefe Hohlflöte aus Holz gedackt mit Stöpsel, ebenso den Bordun aus Holz gedackt mit Stöpsel, und wenn die Hohlflöte höher wird, ist sie aus Metall (zugelötet mit Seitenbärten), immer kleiner werdend; und je höher und kleiner, bekommt sie auch noch ein Rohr. Die schmalen Gamben (Reihe) aus Metall gehen etwas konisch auf.

Auf der anderen Seite die sehr kleinen Pfeifen aus Metall, die kleinen Spitzigen und kleinen Gedeckten: Hier sieht man das Gemshorn (oder Spitzflöte) 4, Nasard 3, Gemshorn 2 und dahinter die kleine Terz (flötig), ganz hinten Rohrflöte 8: ein wunderschönes Cornett (immer aus Flöten): Horn. 

Draußen scheint die Sonne. ps: Sehr empfehlen kann ich: Biofit von Dr. Schaette, wenn einem nach dem Üben die Arme wehtun.

6. November 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Orgelbau Ahrend Ostfriesland

Die Werkstatt hängt voller Fotos schöner Orgeln (bald ist Jubiläum). Hendrik Ahrend zeigte mir die Pfeifenwerkstatt (Kernstück, Geheimnisse….), die Orgel, die für die Hochschule in Tübingen gebaut wird (man kann diese mitteltönig und wohltemperiert einstellen, Klaviaturteilung auf die Windladenteilung anhand einer Welle, um die Abstrakten dranzuhängen; die Regler gehen hierzu nach rechts und links; eine schöne Jugendstilorgel mit Blattgold-Verzierung) mit schöner Hohlflöte. Eine Orgel mit zwei Stimmsystemen ist eine absolute Ausnahme (nur noch Fisk in den USA und Wegscheider in Ostdeutschland). Realisiert mit 18 Pfeifen statt 12 pro Oktave. Daraus ergibt sich, dass 6 Pfeifen pro Oktave doppelt genutzt werde, also in beiden Stimmsystemen. Es sind im Grunde zwei Orgeln in einer. Der Manualumfang in der Mitteltönigkeit nur bis c3. 

Ich konnte auch die durchschobene Lade sehen, die Ventile gehen zum selben Ton.

Gesellen arbeiteten in einem Nebenraum, in dem es nach Holz duftete. Hier sah ich viele Skizzen und Pläne an den Wänden, die Hendrik mir erklärte, Werkzeug, Poster, auch die Schleifladen, die ausgebreitet dalagen (das Prinzip), die Pfeifen in einem extra Raum – sie sind das Herzstück, hier braucht es Geschick, Ruhe, Erfahrung, Kunst und Klangidee; die breiteren Gedeckte und die schmaleren Quintadena… 

Die Firma liegt in weiter Natur idyllisch inmitten roter Schwedenhäuser und Herbstbäumen.

Ich kann gar nicht genug hören von Klangfarben und Pfeifen und Registern, von den verschiedenen Orgelbewegungen und ihren Zielen, Irrtümern und Motiven, von Wind und Farben. Habe Ideen für neue Pfeifenformen. 

5. November 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

St. Marien Leer, Ostfriesland: Ahrend-Brunzema-Orgel

The Red Organ – die wunderschöne, dreimanualige Schleifladen-Orgel in perfekter Akustik, nachträglich bemalt (vorher Holz), besitzt zart-brillante Prinzipale, “spanische Trompeten” und Mixturen, eine Schalmei (Zunge), Bourdon (gedackt), ästhetische, griffige Manubrien, etwa lauten Wind, gold verzierte Prospektpfeifen, schönes Rückpositiv mit den Manubrien direkt hinter mir. Man kann hier ein wunderschönes Cornett (Hornklang) bauen. Leider keine Klarinette, da es keine Streicher gibt. Obwohl doch die Kegellade (ohne Druckpunkt, durchlässig) dem Klavier näher ist, muss ich sagen, dass ich die Schleiflade mit Druckpunkt auch sehr gerne spiele. Ich mag den Widerstand. Zudem ist jede Schleiflade anders; machmal ist der Druckpunkt stark (Maihingen), manchmal sehr leicht (Klais). Man muss auch an der Kegellade (Lenter) den Ton formen, vor allem beim Weggehen. Alles resoniert nun mal anders als beim Klavier. Die Pfeifen dürfen ja nicht einfach nur spucken. Das Cembalo hilft, dieses neue Formen herzustellen und schnell zu switchen.

Konzertlesung Frei wie die Vögel in St. Michael/Hermann Lange-Kirche in Leer, Ostfriesland 

Es war sehr schön, in Leer aus meinem Roman Frei wie die Vögel zu lesen, die kleine zweimanualige Führer-Orgel (ohne 8-Fuß-Prinzipale) war die musikalische Einleitung. Auch Musik mit Gitarre und Flöte rundeten den Abend ab, so dass ich viermal Pause machen konnte in der Lesung und Wasser trinken.

Manchmal ist es schon so, dass man sich dem Publikum ein Stück weit ausliefert. Aber es ist für mich schon “normal” geworden. Auf dem Marktplatz holte ich mir geräucherten Heilbutt, sah den Hafen, fühlte mich ganz wohl im “360-Grad”-Hotel. (Ich freue mich auf meine Hauptwerk-Orgel, die nächste Woche kommt.) Ich beobachte gern die Vögel – so wie daheim, wenn die kleinen Vögelchen und Meisen auf meinem Balkon futtern. Frei wie die Vögel.

Es waren viele Leute da in der Lesung, obwohl es eine solche Art Lesung noch nie dort gab, auch noch lebende Zeitgenossen und Angehörige der Märtyrer saßen im Publikum. Hinterher gab es eine Runde für Fragen und Antworten, ich habe alles von vorn mit Mikrofon beantwortet, der Pfarrer Robben unterstützte. Schön ist die Gedenkstätte der Märytrer und des damaligen Pastor Schniers, der im KZ umgebracht wurde (von ihm schrieb ich auch), und das originale Taufbecken Hermann Langes.

Die Kirche ist nun modern, mit einem wunderschönen Märtyrer-Kreuz in der Mitte. Aber es hält sich mit der Vergangenheit und der Geschichte die Waage, und diese Geschichte ist heilig, das konnte ich deutlich spüren: Denn zwei Männer dieser Kirche haben für die Wahrheit ihr Leben gegeben. Das hat uns alle zum Nachdenken gebracht. Ein Filmteam der Lübecker Märtyrer-Stifung filmte die Lesung und interviewte mich anschließend. Ich soll sehr schön vorgelesen haben, auch wenn es über 90 Minuten ging – und wenn mich etwas begeistert, spreche ich gern darüber leidenschaftlich und frei.

 

Grosse Kirche Leer, Ostfriesland: größte, prachtvolle Stadtorgel Ostfrieslands

Die wunderschön restaurierte (historische) weiße, dreimanualige Orgel (Ahrend Hendrik und sein Vater Jürgen) mit den zwei Rückpositiven rechts und links besitzt sehr schöne Zungenstimmen, besonders die kleinen pfiffigen Regale, tragende und zart-brillante Prinzipale – und edel und gebildet präsentiert sie sich, so dass man unbedingt auf ihr spielen möchte. Die Decke der Kirche ist dunkelgrün und spiegelt sich bei schrägem Sonnenlicht auf den Zinnprospektpfeifen wider. Die gesamte Kirche ist dem Altar, also dem Word Gottes zugerichtet. Dieser leuchtete uns weiß-rot im Abendlicht an, als wir eintraten. Ostfriesland ist mit seinen roten Steinen überall ohnehin so wunderschön und reich. Ich liebe die norddeutsche Orgelwelt. Und die süddeutsche auch. Muffat passt hier nicht her in die ostfriesische Luft vielleicht, aber Bruhns, Buxtehude.

Diese große und dennoch zarte Orgel (Schleiflade, Druckpunkt, mechanische Traktur) wirkt wie aus einem Märchen und besitzt wunderschöne Quintadena. Hendrik zeigte mir auch die Orgel von innen, auch die Bälge. Besonders interessant waren der Tremulant im zweiten Stock (Oberwerk) und die großen Holzpfeifen im ersten Stock (Hauptwerk). Die Leiter waren weniger gefährlich als in Wolfenbüttel an der Schukeorgel. Ich traute mich langsam etwas weiter hinauf. Die beiden Positive waren ebenfalls schön, von innen zu sehen, die schönen zugelöteten Pfeifen und ihre Seitenbärte. Das Rückpositiv links ist fest mit dem ersten Manual verbunden, das rechte kann mit dem dritten Manual gespielt werden, wenn das Oberwerk über ein Ventil vom Wind getrennt wird. Beide Positive haben wunderschöne Gedeckte und Flöten. Wunderschönes Crumhorn und Sordun im linken Positiv. Die Schönen schwarzen Registerknöpfe (Manubrien) erinnern mich an die Stellwagenorgel St. Katharinen Hamburg (für mich Bach-Orgel).

Der Wind ist ganz leise, der Windrücken flach.

Bellingwolde-Stimmung (Vorbild Schnitger-Orgel in Bellingwolde). Schönes Dulzian (Fagottklang).

30. Oktober 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Konzert 30 Jahre Sauer-Orgel Thüringen

Baujahr 1989, Konzertsaal-Akustik, wunderschöne Wand- und Deckenbemalung, St. Salvatore Hermsdorf-Klosterlausnitz; Krummhorn, Flöten. Presse Ostthüringer Zeitung. Ich liebe alle Tasteninstrumente, auch Cembalo und Clavichord, Spinett und Hammerflügel. Ich freue mich, in den Museen Hamburgs Musik auf diesen Instrumenten anzubieten; es gibt dort so viele wunderschöne Instrumente: kostbare Spinette um 1710 aus Frankreich, Cembali um 1630, um 1730, Paris 1787; niederländische, englische und italienische Cembali, üppig verzierte und geschnitzte Gestelle… auch Virginale, ein Spinetto, ein Claviorganum, ein gebundenes Clavichord…

Sehr gefallen haben mir die Kunstwerke in der Kunsthalle Hamburgs: Monet 1902, Monet 1880, Boudin 1893, Rembrandt 1649, Dorothea Metzle-Johannsen 1919, Klee, Kandinsky – leider aber sehr männerlästig, das ganze Haus.

Es ist lustig, wenn man von Hamburg aus nach Buxtehude fährt. 🙂

Zur Entspannung höre ich gern Krimis von Jeffery Deaver.

29. Oktober 2019

Etiketter: , ,

Kommentar verfassen

Registrierungen

Es gefällt mir besonders, eine Orgel mit Druckpunkt (Schleiflade) zu spielen. Und ich mag es, Registrierungen zu finden: von Dolce (G) zu Salicional (S) zu Gemshorn (P) zu Gambe (S) zu den Gedeckten und Flöten, zu den Vierfüßen, zu den Achtfüßen. Eine Klangwolke um den Keysound zu bilden, beispielsweise um die Konzertflöte in Giengen oder um die Gambe in Maihingen oder um das Gemshorn in Fährbrück, diesen Keysound aufbauen und zu stärken, nicht zu unterwandern oder zu zerstören.