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Künstlerinnen und Künstler: Zwischen bürgerlichem und künstlerischem Leben sein, ringend. (AHS)

1. Oktober 2023: Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen. (Hugo von Hofmannsthal)

Künstlerinnen und Künstler: Zwischen bürgerlichem und künstlerischem Leben schwankend seit Jahrhunderten. (AHS)

Bereits Thomas Mann hatte dieses Dilemma als Lebensthema: Es ist ihm, wie er selbst zugibt, nie gelungen, das „bürgerliche System“ zu verlassen: Das normale Leben mit Familie, Haus, Geld, Sicherheit und Kinder. Doch das (vermeintlich) unkonventionelle (rebellische) Leben des Künstlers reizte ihn stets. Er hatte immer Sehnsucht danach.

Ich höre übrigens gerade den schwedischen, romantischen Komponisten Wilhelm Stenhammar (1871).

Andere Schriftsteller fanden eine gewisse Mischung aus beidem, aus bürgerlich und künstlerisch: Der geniale Fontane war Apotheker (damals „nur“ ein Ausbildungsberuf) und begann erst gegen 50, Autor zu werden:

Er schrieb Effi Briest. Was an diesem Werk so sensationell ist: Er beschreibt die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau (damals, aber auch prophetisch für heute, bis zum heutigem Tag) ohne Vorwurf und Emotion, jedoch nicht lakonisch, mit dem Vertrauen, dass die Leserinnen und Leser selbst zwischen den Zeilen verstehen und die Dinge ändern würden. Das ist genau das, was so unglaublich erschütternd und berührend ist an dieser Tragödie.

Dann Kafka, Versicherungsangestellter und genialer Autor.

Bruckner, der erst mit 40 ernst zu komponieren begann. … …

Für mich gibt es drei „Pläne“ im Leben (beruflich künstlerisch gesehen):

– Plan „superb“: sich durch die eigene Kunst einen Namen zu machen. Nicht nur Kunstliebhaber, sondern selbst Künstlerin zu sein. Berufung. Dies kann sehr hart sein, siehe Schubert. Van Gogh. Diese haben alles auf eine Karte gesetzt und sind erst nach ihrem Tod berühmt geworden.

– Plan A: genau die Stelle zu bekommen, die man liebt und die zur Berufung passt und wo man wirklich Dinge bewegen kann.

– Plan B: sich mit dem zu arrangieren, was man eben erhält und bekommt, auch wenn man es nicht liebt.

Ich denke, viele Menschen leben beruflich Plan B. Es macht ihnen nicht so viel aus, da sie Sicherheit feiern oder vielleicht dafür privat Plan A leben.

Einige Menschen leben beruflich Plan A. Vermutlich sind die meisten davon Männer, da Testosteron, Machtgebaren und Ellenbogen dabei helfen. Und viele sprechen hier auch von Glück. Doch selbst das beste Plan A-Leben kann verdriesslich werden, wenn man sich mit anderen vergleicht.

Einige wenige leben Plan „superb“. Das muss man aber auch wirklich wollen: Alles auf eine Karte zu setzen, ohne Sicherheit zu feiern. Die eigene Unsicherheit, Zweifel, Ängste und Selbstboykott überwinden. Die Kunst geht nach Brot?

Die Kunst geht nach Brot, klagt Lessing in “Emilia“.

Mein Vorbild JS Bach lebte alles drei: Plan B, A und superb. Teilweise nacheinander, teilweise parallel, zeitgleich, durcheinander. Das Künstlerische dringt den wahren Künstlern und Künstlerinnen selbst und gerade im bürgerlichen Leben sowieso aus allen Knopflöchern.

Das bürgerliche Leben ist ja auch nicht schlecht, sondern gut: Bodenständig, gesund. Bach und Luther waren fest im bürgerlichen Leben – und auch irgendwie nicht. Beides.

Als Christin glaube ich nicht an “Glück“, sondern dass Gott Türen öffnet.
Dass das bürgerliche und kirchliche Leben musischer und menschlicher wird: Das ist mein Wunsch.

Winter Ann-Helena

Heute erinnere ich an Katia Krafft, franz. Vulkanologen; an Matilda Montoya, 1859 geboren, Mexikos erste Ärztin. Und an Lijana Kaggwa, die sich wehrte.

28 Antworten auf “Künstlerinnen und Künstler: Zwischen bürgerlichem und künstlerischem Leben sein, ringend. (AHS)”

  1. Maximilan Nicolaus

    Ich bin Domorgelfan und Martin Schmitz Solcena.

    • Ich und Rochus Schmitz, wir sind die Fachwelt für Orgel. Unser Präses ist Maximilian Nicolaus

      • Maximilian Nicolaus

        Ich weiß, ich bin ziemlich aufgedunsen, so wie Martin. Wir Mobber sind alle teigig geworden. Liegt es am Hate Speech? Vielleicht macht Haß häßlich?

    • Kuchensegen

      Kisselbach Orgeln können aber MIDI Filets abspielen.

  2. Felix Österkamp

    Ich war in der Schule immer schlecht in Musik.

  3. Ist Wiebusch, deine dir CDs und Konzerte verbieten wollte, zum Vize aufgestiegen? Er wusste stets die richtigen Kontakte zu bedienen.

  4. Hans Bonfigt

    Werner Bernloehr hat so wenig Begabung und Erfahrung an der Orgel wie ich.

    • Hans Bonfigt

      Lothar Glass und ich haben auch unsere Laienhaftigkeit gemeinsam

  5. Herr Nemetz

    Wer dich nicht liebt, hat eine Profilneurose.

    • AuBergewonhnlich! Widors Toccata ist sehr schwer zu spielen, aber diese Musikerin ist unübertroffen. Mit äuBerster Einfachhheit und Professionalität, wenn man dieses Stück hört, hat man das Gefühl in einer anderen Welt voller Fantasie und Erhabenheit zu sein. Brava!

  6. Franz Kaiser

    Wenn man nicht opportun ist, wird man in unserer Gesellschaft gern mal gecancelt. Das ist der Zeitgeist, der Kult unserer Tage. Wie frei kann man heute sprechen, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden? Gut, dass Sie so angenehm anders und kritisch sind und Ihr Fähnchen nicht in den Wind halten und sich angenehm angreifbar machen. So wie die Inflation steigt, so ist auch der Preis gestiegen, seine Meinung zu äussern.

  7. Danke, dass Sie uns Amateuren Wertschätzung entgegenbringen. Die Aussprache hat uns gut getan. Freude, Erfolg, Enttäuschung und Frust liegen oft nah beieinander. Ihnen ein frohes Fest!

    • Daniel Ruppel

      Du bist ein Influencer. Eine Influencerin. Du beeinflusst deine Fans und Gegner.

  8. Andreas Friedrich

    Danke für die Inspiration der Gedanken. So bist du, liebe Ann-Helena als Künstlerin und Frau. Ich wünsche dir, dass Gott jede Tür weit offen lässt für deine Kunst und dein Leben.