Die Länge der Gesänge ist viel zu lang für ihres Ohres Länge. (Wilhelm Busch)
Schreibe morgen früh. Mir fallen die Augen zu.
Geheime Denkmäler:
Zuerst besuchten wir in Limlingerode die hübsche evangelische Kirche (aus Gips und Bruchstein, beinahe 1000 Jahre alt), die die letzte erhaltene große Johann Christoph Werner-Orgel (1810; 2011 restauriert) besitzt. Werner kam aus Steina bei Bad Sachsa aus einer Töpfer-Familie. Er sollte den väterlichen Töpfer-Betrieb übernehmen. Aber er liebte den Orgelbau und brachte sich diese Fertigkeiten extern und autodidaktisch bei, was natürlich manchen ein Dorn im Auge war. Quereinsteiger sind oft nicht willkommen. Dabei war er sehr talentiert: Die Orgel in Limlingerode ist eine wunderschöne zweimanualige weiße Orgel, geschmückt mit Blumen (diese eventuell sogar noch von älterem Jahrgang), dunklen und näselnden, mittelalterlich klingenden und warmen Klängen. Die Kirche ist hell und ebenfalls mit Blumengirlanden geschmückt, der Altar von 1695, der Taufengel von 1710. Da der Turm zu klein ist, sind die drei großen schönen Glocken außerhalb der Kirche angebracht. Die wertvollste wurde leider verkauft. Es ist das erste Mal, dass ich in einer Gegend so viele Kirchen ohne Turm antreffe. Dadurch sehen manche Kirchen nicht wie Kirchen aus. Die Glocken sind draußen im Glocken-Gehäuse. Alle „rodes“ sind ca. 1000 Jahre alt. Die wunderschöne Werner-Orgel wird auch im Thüringer Orgelsommer gespielt. Im zweiten Weltkrieg wurde die Kirche beinahe zerschossen, der Turm und das Dach fielen ein, es regnete in die Orgel. Der Dachreiterturm, der gerade über der Orgel saß, wurde abgeschossen und diese Lücke dann mit einer Hilfskonstruktion gedeckt. Dennoch hielten einige Register dieser tapferen Orgel bis 1970 durch! Danach ging nichts mehr. 40 Jahre lang schwieg diese Orgel. Eine biblische Zahl. An dieser Orgel kann mensch viel erkennen und lernen und sich ein Beispiel nehmen. Wie geduldig sie alles ertrug. Jugendliche kletterten in ihr herum. Kirche und Orgel wurden in der Nachkriegszeit grau und etwas düster angemalt. Dann DDR – Grenzzone und Sperrgebiet. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden notvollen Hungerzeit 1946-48 kam mit dem „Aufbau des Sozialismus“ durch die sowjetisch angeleiteten Kommunisten die nächste Unterdrückungswelle mit der Einführung der 5km-Sperrzone an der Grenze. Unbotmäßige wurden deportiert, viele Menschen enteignet, die Bauern in die „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ gepresst, all das verbunden mit einer scharfen antichristlichen Propaganda. In dieser Zeit hat die Gemeinde das Kirchendach repariert und die Kirche neu ausgemalt. Das war eine enorme Widerstandsleistung, die für die Christen auch mit dem persönlichem Risiko des Verlustes von Heimat und Eigentum verbunden war. Dass ihnen das nicht mit fröhlichen Farben gelang, kann ich gut verstehen.
Schließlich aber wurde die Orgel endlich in Angriff genommen und aus ihrem Schweigen herausgeholt. Jedoch – was kann man von Orgelsachverständigen anderes erwarten – hielten die Gutachten der „Orgelsachverständigen“ die Orgel für nicht reparierbar. Die letzte Werner-Orgel! Die Gemeinde und Frau Neubert gaben nicht auf. Da kam Orgelbaufirma Hüfken aus Halberstadt. Innerhalb eines Jahres stellten diese die Werner-Orgel wieder her! Es wurden alte Pfeifen gefunden, die der frühere Pfarrer dem ersten Welt-Krieg vergeblich anbieten wollte, die Bälge erneuert, es wurde restauriert, die alten herrlichen Farben mit den Blumen und dem wunderbaren Grün wiederhergestellt. Die Manualkoppel und die Pedalkoppel sollten noch restauriert werden. Dies ist jedoch sehr teuer. Es gibt eine wundervolle Posaune 16 und Quintadena und in samtiger Akustik die Flöten. Besonders berührend ist für mich, dass direkt neben dem Glockenstuhl das Geburtshaus der Lyrikerin Sarah Kirsch steht, die bekannteste Dichterin der DDR. Übrigens, die Tagebücher von Pfr. August Rönnefarth hat Pfarrer i. R. Dr. Ehrhart Neubert als Büchlein verlegt – eine spannende Quelle darüber, was der Krieg im Alltag eines Dorfes anrichtete und für die einfachen Menschen bedeutete. Der treibende Motor an der Renovierung und der Orgelfrage war er. Der Gottesdienstbesuch in Limlingerode ist vergleichsweise gut, die Politik und DDR-Schulbildung haben hier nicht ganz so durchgeschlagen wie in anderen Gebieten der ehemaligen DDR.
Der Kirschkuchen aus dem heimischen Bäcker schmeckte übrigens vortrefflich. Schade ist, dass so viele Menschen dieser wunderbaren Gegend die Gottesdienste nicht besuchen. Es ist leider eine sehr säkularisierte Gegend, vielleicht eine der säkularisiertesten Gegenden der Welt.
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