Schnee wiederzugeben, wie klingt er? Wie klingt Sehnsucht? Licht, Schmerz, helle und dunkle Sehnsucht und Stille, wie ausgedrückt? (AHS)
Heute waren wir in Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt ist zwar ein unkünstlerischer Name. Aber die Gegend ist eine WUCHT. Ich liebe Ostdeutschland. Alles. Was für eine wunderschöne Stadt, eine Stadt Bachs, Telemanns, Händels, Ladegasts, Schützs. Ich liebe vor allem Bach und Schütz. Händel ist nicht so meine Welt, war er noch nie.
Wunderschönes Wetter. Einen solch blauen Himmel gibt es nur im Mai, solch ein Grün, ein Rosa der Kirschbäume, solch ein Gelb, solch glitzernde Farben, und ich liebe es vor allem, wenn an gestutzten, kahlen Bäumen dicke Knospen aufbrechen. Und die Vögel singen, und alles ist leer und frei, das schätze ich besonders bei Reisen in Coronazeiten, man hat alles für sich, es gibt keine Touristen, keinen Lärm. Nur Vögel, Sonne, Himmel und Duft des Frühlings. Heute war der erste warme Tag im Jahr. Und ich habe mir gleich einen Sonnenbrand geholt und es nicht mal gemerkt. Die uralte evangelische Marienkirche 1465 ist genau nach meinem Geschmack, solche Kirchen liebe ich, spätgotisch, ein helles Schmuckstück mit weißem Turm und dunklem Dach, und genau in dieser Gasse an der Kirche vorbei zum Markt, wo auch das Rathaus steht, lief Schütz, der hier seinen Lebensabend verbrachte, lief Bach. Leider wird die Ladegastorgel noch restauriert. Wir besuchten das Schütz-Haus, die Jüdenstrasse, die weiße Schlosskirche. Rechts ist das besondere Latrinenhaus, und durch den Torborgen tritt man in das Schloss Augustusburg, zunächst in den Schlosshof. Versteckt und in das Schloss integriert ist die Kirche, wunderschön verziert mit Terracotta und Apfelgrün, frühbarock, alles erhalten wie damals. Auf der dritten Empore steht oben die schöne kleine Christian-Förner-Orgel mit zwei Manualen. Das Gehäuse ist noch genau erhalten wie damals, jedoch innen ist es nun eine moderne, elektro-pneumatische Voigt-Orgel mit Compressor, was ein wenig schade ist. Doch die Klänge sind dennoch sehr schön. Ich durfte sie spielen.
Wir nahmen am evangelischen Rogate-Gottesdienst mit Abendmahl teil. Ich war die erste, die vorging und kannte das Ritual dort nicht. Der Pfarrer legte nur bei mir segnend die Hand auf den Kopf. Die Decke ist voll Engel, der Altar geschmückt. Draußen: ein Schild angebracht, dass Johann Sebastian Bach sich um die Orgel kümmerte, und dazu steht, er sei der bedeutendste Musiker des 18. Jahrhunderts. Das ist falsch. Er ist der bedeutendste Musiker überhaupt. Das Schild muss dringend geändert werden.
Wir liefen an Novalis’ Haus vorbei, durch den Stadtpark mit seinen alten Gräbern und schönen Bäumen, an dem Musikerbrunnen in der Jüdenstraße, an dem ich mit Bach und seinen Kollegen vierhändig spielte. Dort, wo Ladegasts Wohnhaus stand, ist leider kein Schild angebracht. Das ist eine Schande. Es wird immer wieder vergessen, dass es Orgelbauer gibt, die absolut geniale KÜNSTLER waren/sind; es ist mehr als nur ein Kunsthandwerk. Dann besuchten wir die kleine Laurentiuskirche, die ebenfalls eine Ladegast-Orgel besitzt. (Wir lagen später auf der Wiese mit Spargel und Wein, und ich holte mir endgültig einen Sonnenbrand.) Wir fuhren nach Heidelberg.
Das Konzert heute wurde verlegt auf Ende Mai.
Mir kommt es so vor: Je kleiner eine Orgel von unten, desto größer wirkt sie oben. Je größer eine Orgel von unten, desto zerbrechlicher oben.
Endlich wird hier wieder ein TOUR Blog draus.