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26. Mai 2020

Ich bin froh, einer dieser Menschen zu sein, die problemlos Musik hören können, ohne dabei zu joggen. (Anonym)

In Concert, erster Aufritt nach der Krise in der Krise: Die schöne renovierte, neobarocke Hey-Orgel in St. Kilian Bad Windsheim von 1986 mit vier Manualen und Setzer-Anlage, Druckpunkt, aktives Pedal, ist sehr spannend, da sie noch in dem wunderschönen alten Prospekt von 1735 steht. Die Orgel wirkt riesig, wenn sie hell erleuchtet ist. Die große schöne Kirche St. Kilian hat viele Orgeln erlebt. Nach dem Stadtbrand vor sehr langer Zeit wurde in Bad Windsheim damals eine wunderschöne Wiegleb-Orgel eingebaut (siehe Ansbach), doch leider wieder vernichtet, dafür eine Steinmeyer-Orgel eingebaut, die auch wieder vernichtet… Viel Chaos nach dem jeweiligen Zeitgeschmack. Aber der herrliche Prospekt ist erhalten geblieben: Überall pfeifentragende Engel und zwei große Männerfiguren, die die Pedalpfeifen tragen. Diese muskulösen Männerfiguren und Engel schauen so verzweifelt und ächzend unter ihrer schweren Last, dass man an der Orgel spielend nach einer Weile, da man diesen Figuren und Engeln ins Gesicht guckt, fast etwas depressiv wird. Der Prospekt wirkt sehr schwer. Viele kleine Pfeifen sind verschnörkelt. Oben auf der Orgel thront ein Engel-Orchester.

Bad Windsheim ist viel kälter als Würzburg. Ich habe schon oft Klavierabende in Bad Windsheim gespielt. Nun Orgel. Auch in dieser schwierigen Zeit leuchtete die große St. Kilianskirche, mit ihrem Brunnen davor. Die Gäste (zwischen 80 und 90 Leute) wurden zu ihren Plätzen begleitet von lieben Damen mit Schutzmaske. Mein erstes Schutzmasken-Konzert. Die Presse war auch da in der ersten Reihe und hat Fotos gemacht. Habe CDs verkauft, mit rasch angelegter Schutzmaske, die mir eilig hinterher getragen wurde. Ich liebe es, mich hinterher schnell nach unten zu begeben und mich zu verbeugen. Die Leute finden diese Kombination “Ann-Helena und Orgel” immer erstaunlich, das merke ich. Begeisterte emails hinterher erhalten. Anschließend war alles schon zu, aber wenigstens konnten wir zwischendurch tagsüber ein Eis essen und Kaffee trinken. Das Filmen hat Spaß gemacht, auch wenn es anstrengend war. Die Videos kommen bald. Danke, Bernd! 

Eine Orgel ist ein lebendiges Wesen wie ein Tier, sagen wir, ein Pferd (da ich gern reite und auch die Orgel einen trägt). Vor allem, wenn die Orgel schon oft umgebaut wurde, muss man sensibel mit ihr umgehen. Da sie erweitert wurde (die Leute mögen immer gern laute, große Orgeln, neue Setzer-Anlage, neues Extra-Manual und mehr Pfeifen…), stehen die Pfeifen hier eng gedrängt im alten schönen Prospekt. Ich aber glaube, für die Persönlichkeit einer Orgel kommt es auf keinen Fall auf Größe und Lautstärke an. Viele Männer reden immer von Riesenorgeln, von Erweiterungen, von größeren Motoren, von Universalorgeln. Aber das ruiniert manchmal anstatt zu verbessern. Denn dadurch werden Farben und Klänge auch zerstört. Die Orgel muss atmen und ihre Individualität behalten. Mir kommt es auf das Persönliche an, auf die zarten Farben. Man muss eben nicht alles auf einer Orgel spielen können. Im Gegenteil, sonst spielt man zwar alles, aber mehr schlecht als recht, weil nichts wirklich perfekt passt. Man könnte nie mit einem Pferd oder mit einem Menschen oder mit einem Auto alles können! Ein Rennwagen ist keine Kutsche und ein SUV kein Flitzer. Gerade die Entscheidungen machen eine Orgel aus, gerade der Verzicht! Aber das verstehen viele unmusikalische Menschen nicht. Dann haben sie aber auch Musik und schon gar nicht Bachs Musik verstanden, die von Verzicht und Entscheidungen lebt. Auch eine Orgel braucht einen festen Rahmen, zu manchem ein Ja und zu manchem ein Nein.

Wenn man also an einer neuen Orgel ist, muss man sehr kreativ mit den Farben umgehen und im Gehör haben, was man hören möchte. Denn man kann oft nicht die typischen oder die eigentlich “richtigen” Kombinationen nehmen, sondern muss neue suchen, die dem Gehör nahe kommen, auch ungewöhnliche, “unrichtige”. Dabei hilft, zu koppeln, vor allem das Pedal zu koppeln, wenn man dort eine leise Zunge braucht, die es sonst nicht gibt, oder zum Beispiel mit den Händen mal im Vierfuß eine Oktave tiefer zu spielen. Natürlich muss man sich auch zudem motorisch an jede neue Orgel gewöhnen.

Wenn ich meine eigenen Stücke spiele, hilft mir das sehr, mich mit der jeweiligen Orgel anzufreunden, weil ich mich dann komplett individuell auf die Orgel einstelle. Das freut die Orgel, ich merke das. Ich werfe dann ihre Farben in die Luft und lasse sie strahlen. Ich wähle ganz instinktiv wie eine Malerin Farben aus, die zuvor noch nie oder selten kombiniert wurden. None mit Krummhorn, Plein Jeu mit 32-Fuß, Nasard mit Zimbelstern – ich komme dabei richtig in einen kreativen Flow, in Ekstase. Ich entspanne dabei. Die Orgel biegt sich mir freundlich entgegen, wie ein Pferd, dass endlich durchlässig den Rücken frei gibt. Die Orgel entspannt. Schnaubt ab. Und die Leute staunen. Natürlich ist es auch manchen Leuten zu experimentell oder zu verrückt. Das verstehe ich. Wobei mir es nicht experimentell genug sein kann. Daher habe ich auch immer ein eigenes Stück dabei, das etwas “normaler” ist. Damit belohne ich alle. 

Ich sende die Videos, sobald sie fertig sind. 

Meine Instrumente genießen hier zuhause Luftfeuchtigkeit 50-55 %. An den Nebel habe ich mich ebenfalls gewöhnt und niese nicht mehr. 

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