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22. Juli 2020

An einer Sauer wird man zu Straube. (AHS)

Ich denke, dass man an einer französisch-neobarocken Orgel recht auf die Zungen angewiesen ist, da diese die Pracht ausmachen. Da ist nicht leicht, daran “vorbei zu registrieren”, wenn sie verstimmt sind.

Ich habe festgestellt, dass es auch schön ist, Reincken Fuga g-Moll mit Prinzipal 8 und Flöte 2 zu spielen, also im Spaltklang. Das kann an mancher Orgel schön leuchten.

Man muss an jeder Orgel neu schauen, ob man Achtfüße verdoppeln kann. Manche Orgeln verlangen es, zB. viele Silbermann-Orgeln. Aber an anderen ist es klanglich unmöglich, zu verdoppeln.

Mit dem Nasard muss man bei Solostimmen immer etwas vorsichtig sein.

Ach, ich liebe die Fuge der Passacaglia c-Moll – diese norddeutsche, direkte Fuge, die gleich mit Kontrapunkt einsetzt nach dem Vorbild Reinckens. Mit verschobenen Akzenten: die betonten Schwerpunkte sind im Thema und im Kontrapunkt so gleichmäßig verschoben, immer nach anderthalb Takten, dass das Gefühl von Zwei in Drei entsteht, ein Hemiolen-Gefühl, das Gefühl von Querständen. Das Kontrasubjekt ist so intensiv, mit verminderter Quinte oder verminderter Quarte, dass das Drama in Musica perfekt ist. Dann vermindert Bach auf drei Stimmen, dann auf zwei, die Ruhe vor dem Sturm. Es ist so dynamisch komponiert, dass Registrieren an einer wunderschönen Orgel nicht oder kaum notwendig ist. Auch die Variationen davor sind perfekt auskomponiert in der Dynamik: In der 13. Variationen (Alt-Einsatz) 3 Stimmen, dann zwei, dann eine Stimme. Dann wieder kontinuierlich bis zu sechs Stimmen (Variation 16). Besonders schön ist es, wenn sich die Top-Noten oben und unten c auf dem Gipfel des Mont Blanc in der Kadenz vor der vorletzten Variation treffen. Das unermüdliche und herzzerreißende Insistieren Bachs ist wie ein Werben, besonders in den Querständen. Bis in die kleinste Kleinigkeit (die verspätete Zwei in Variation 14) ist die Intensität geradezu schmerzvoll.

Sehr empfehlen kann ich den Film Babette  – vor allem, wenn man ihn in original Norwegisch sieht, mit englischen Untertiteln. So trainiert man wieder zwei Sprachen.

Ich lese gern Bücher von Martin Petzold, dem verstorbenen Musikwissenschaftler aus Leipzig. Und ich lese auch Bürgers Liebe – über den Versuch einer Ehe. Was mir auffällt ist, dass, wenn es “wir” heißt in Literatur und Politik, immer nur Männer gemeint sind. Oft ganz offensichtlich: “Wir fühlen uns vielleicht toleranter, sanfter, leben aber immer noch das Programm vom Männlichkeitswahn.” (Hermann Kinder) Wir! An diesem Satz kann man viel ablesen. 1. Männlichkeitswahn: stimmt (schon mal ein Fortschritt mit dieser Erkenntnis). 2. Männer “fühlen sich toleranter” – die, die tolerant sein müssen, sind Frauen. 3. Wer bitte ist wir? Die Lobby Mann? Es ist, als würde ich schreiben: “Wir fühlen uns manchmal nicht ganz so gut, wenn wir unsere Tage haben.”  – Wer ist hier wir? Selbst bei Verbrechen wird das Wort “wir” verwendet (z.B. Kindesmissbrauch). Hier wird dadurch vertuscht, dass die Verbrecher nur Männer sind. Es wird fast nie betont, dass es nur Männer sind. Als wäre das schon völlig normal. Sind vereinzelt Frauen beteiligt, sind diese Geliebte und Handlanger dieser Männer, was ihnen zum Verhängnis wird. Wenn (was sehr selten geschieht) mal weibliche Verbrecherinnen unterwegs sind, wird das sehr betont.

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