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28. Mai 2020

Die Orgel redet fast alle Sprachen. (AHS)

Das Schöne bei Bachs Piece d’Orgue ist, dass man das Stück überall spielen kann, auch sehr schön auf französischen Orgeln. Entweder mit Plein Jeu (bzw. Petit Plein Jeu) oder Grand Jeu, hier keine Mixturen in den Händen, sondern Zungen dazu nimmt. Bei Grand Jeu hebt sich allerdings das Pedal nicht so gut ab, besser im Plein Jeu, das ja auch im Plein Jeu das Pedal im Kontrast Zungen hat. Allerdings kann man im Grand Jeu im Vitement sehr schön ein Kornett oder eine flötige Tierce hinzunehmen.

Ich finde es schön, wie Bach die Quartsextakkorde, die zu seiner Zeit absolute Dissonanzen waren, oder auch die Dominantseptimakkorde, manchmal gar mit None, umspielt, oder auch die Sekunden. Dicht und intensiv. Oder wie er im Gravement die Tetrachorde (4) und die Hexachorde (6) verwendet, die Moleküle des Werkes. Wie immer wieder neu nach einer Kadenz eine Hexachord-Linie irgendwo ansteigt, unten oder oben oder beides. Dass er unerträglich lange nicht abkadenziert. Dass man vor lauter Spannung keine Luft mehr bekommt. Wenn man all diese Linien verfolgt, besonders die Mittelstimmen, also keineswegs akkordisch denkt, dann ist der Gravement-Teil schwer. Denn sobald man auch nur eine Linie vergisst oder eine Note länger hält als geschrieben, klingt es bei dieser Dichte schmutzig. Auf der anderen Seite sollen die Linien gerade sehr dicht sein, die genussvollen Dissonanzen nicht abreißen, besonders dichte Terzen und Sexten. Es ist ein Vorhalts-Stück, ein Choral mit einem Diskant voll Cantilene, während es in der Mitte wie Lava brodelt und man von einem Höhepunkt in den nächsten schwimmt. Wie in einer dicken, tröstenden Masse. Ich liebe die Kadenz mit dem tiefen h, die Orgelpunkte, die Überraschungen, die springenden Oktaven, den flirrenden Schluss, aber vor allem, dass er das Anfangsmotiv vom Grave einfach mittendrin wieder einbaut, in Dur, in Moll.

Erschreckend ist, dass der KlangArt-Orgel-Kalender von benno-Verlag bisher nur Männerzitate zeigt.

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