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8. Juni 2021

Der Herr hat Großes mir getan. (Ämilie Juliane von Schwarzburg, 1699)

Heute spielte ich die sehr schöne Schuke-Orgel in der Predigerkirche in Erfurt. Fabelhafter Klang. Leuchtende Akustik. 3 M. Und ein sehr schöner, welliger, mächtiger Prospekt, 1648 Ludwig Compenius. Früher, 1899, war sie eine Walcker Orgel. Hätte mich auch sehr interessiert. Dann nun 1977 Neubau Schuke. Sehr anders als die Schuke im Dom Erfurt. Schuke Potsdam ist oft sehr unterschiedlich, wie Tag und Nacht. Das mag ich. Sehr kreativ und individuell. Es ist eben auch eine Compenius-Walcker-Schuke.

Ich dachte im ICE darüber nach, was „neobarocke Orgel“ eigentlich heißen soll. Nach dem Motto: „What is in a name?“ Dieser Begriff „neobarock“ ist irgendwie abstrus.

Wenn jemand nur auf die Disposition schaut, könnte man gewisse Instrumente schnell „neobarock“ nennen. Man darf nicht vergessen, daß kein Orgelbauer damals Schleifladen gebaut hat, außer allenfalls Alfred Führer und Paul Ott, die gerade angefangen hatten.

Man könnte genauso gut und weiter überlegen, ob denn Orgeln ohne original gestaltete Windanlage (also mehrere Keilbälge) überhaupt „barock“ genannt werden sollten. Man hat so Instrumente, etwa Rysum und Westerhusen, die als besonders gut restauriert und „barock“ gelten.

In einem nächsten Schritt mag man überlegen, ob nicht Barockorgeln auch mit handgeschmiedeten Nägeln daher kommen sollten, anstatt der heute bei Restaurierungen verwendeten Schrauben.

Die Frage ist also, wie weit man bei der Charakterisierung eines „neobarocken“ Instruments gehen möchte, ob man also Schweller und Walzen genau wie moderne Windanlagen und Schrauben einbezieht.

Die damalige (1938) orgelbewegte Umorientierung bezog sich offenbar vor allem auf die Disposition und die Intonation. Es hätte aber vor allem der historisch orientierte Pfeifenbau im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollen, dann die Intonation, dann erst die Disposition. Das war aber nie der Fall.

O tempora, o mores.

Für mich sind Orgeln mit Schweller und Walze nicht „neobarock“. Siehe Weigle Orgel Markuskirche Mannheim. Mit „neobarock“ werden allgemein sicherlich die Disposition und Intonation einer Orgel gemeint sein, also wenige Grundstimmen, vergleichsweise viele Aliquoten, niedrige Aufschnitte, niedriger Winddruck. Vielleicht sieht eine jeweilige Orgel auch irgendwie „neobarock“ aus, indem sie z. B. dem „Werkprinzip“ folgt, also baulich getrennte Werke zeigt. („Neobarocke“ Produkte waren übrigens ab den ca. frühen 70er Jahren negativ konnotiert.) Für mich ist die elektro-pneumatische Kegelladen Orgel-Weigle in Mannheim keine neobarocke Orgel. Für mich kann eine Orgel mit Walze und Schweller etc. nicht neobarock sein. Falls dieser Begriff nicht gänzlich verwirrend und sinnlos ist.

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