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1. November 2020

Musik ist Leben und nicht Überleben. Kein Formel 1. Ich liebe das sprechende Spiel. (AHS)

Das Konzert in Fulda war sehr schön. Thorsten hat geblättert. Eigentlich müsste der Organist immer klein auf dem Plakat stehen und unten drunter groß: Es blätterte …

Mit dieser romantischen (universalen) Domorgel haben wir eine wundervolle Fusion von 20. und 21. Jahrhundert. Der warme Sauer-Klang (wie das klingt) und der kühlere, elegante Rieger-Sound treffen sich wundervoll in der Mitte. Die erhaltenen Sauer-Pfeifen, süffig romantisch, mischen sich mit den delikat-reservierten Rieger-Pfeifen. Schön! Es war dennoch ein wenig ein Schock, von einem Tag auf den anderen von der mitteltönigen Huß-Schnitger-Orgel zur viermanualigen Domorgel Fulda zu wechseln, noch dazu, weil es dunkel war. Die herzliche, warme, helle Atmosphäre in Stade und auch in Buxtehude tauschte ich gegen eine kühl wirkende, mächtige Domorgel. Hier oben ist es genauso eng wie in Stade, fast noch enger – da ein großes Verschnörksel direkt über dem Kopf hängt und den Blick zum Prospekt versperrt.

Diese Orgel ist eine Festung. Sie ist keine Rolex-Uhr wie in Buxtehude. Sie ist eine Stadt auf einem Berg. Auf einem weißen Berg. Angestrahlt. Rückpositiv. Goldsilberbraun. Sie hat die Form eines Spiegels, wirkt etwas kühl, distanziert, man muss sie anders erobern. Sie ist an sich nicht schwer zu spielen, und auch übersichtlich, mit einem leicht gehenden Pedal. Dennoch: Sie zu erwärmen braucht eine Weile. Diese Orgel ist definitiv weiblich. Es ist mir mit Piece d’Orgue gelungen. Die offenen 32-Fuß-Pfeifen taten ihre Wirkung. Der Klang ist so mächtig, dass der Boden des Gangs zu beben scheint.
Es hat mir sehr geholfen, die Kirche wieder und erneut im Tageslicht zu inspizieren, die Gruft, die Gräber, Altar, den Schwurkreis, die Kuppel darüber. Sie ist doch freundlich und hell, wirkte nur nachts kalt und stumm. Wenn ich den Raum erkunde, erkunde ich die Orgel mit. Ich freunde mich mit dem Raum an, dem Resonanzraum der Orgel. Ich muss mit diesem ebenso verschmelzen. Ich kann nicht nur da oben auf der Festung sein. Ich muss nach unten, ins Tal.

Nach dem Konzert hat man keine Möglichkeit, den langen Gang nach unten zu laufen im Applaus. Man muss sich oben an der Brüstung verbeugen.

Ich versuche schon immer während des Spiels, mit dem ewig weit entfernten Publikum zu connecten, über Geist und Emotion, wie ich es von den Klavierabenden kenne. Wenn ich an der Brüstung stehe, winke ich hinunter. Jemand sagte mir, ich solle doch wie die Queen meine Hand bewegen, die Handfläche nach innen. 

Bei meinem eigenen Stück habe ich das zweite Glockenspiel verwendet. Es kam mir plötzlich vor, als würde ich einen Totentanz spielen. Ich liebe Spaltklänge und Vier-Zwei- und Einfüße im Pedal. Presse war auch da. 

Passacaglia, Scheidemann, Piece. In der Fuge der Passacaglia hatte sich meine Registrierung in Luft aufgelöst. Wenn ein Klang nicht mehr so ist wie ich ihn will, bin ich wie unter Schock, gelähmt, irritiert. Ich spiele weiter, hilflos, anstatt dem Registranten sofort einen Hinweis zu geben. Ich denke noch wie am Klavier, es wird sich geben, ich kann es mit meinem Anschlag ändern. Aber das ist nicht so. Ein Hintersatz im Pedal lässt sich nicht wegspielen, man muss ihn wegziehen. Wegdrücken. Dass ich auditiv so sensibel bin, ist nicht verkehrt, ist gut. Aber ich muss lernen, sofort zu handeln. Ich habe die Verantwortung, der Registrant ist nicht mein Coach. Ich muss schneller erkennen: Was ist es, wie ändere ich es. Weiterspielen ist nicht die Lösung. 

Anschließend musste ich direkt zum ICE gebracht werden, denn ich wurde um 16 Uhr in Bremen von den nächsten Veranstaltern abgeholt, dann fuhren wir nach Wilhelmshaven. Dort war schon 18 Uhr der Klavierabend, Beethoven, Chopin, Bach, Schlüter  – ein weißer Gotrian Steinweg, 44 Jahre alt, wieder eine ganz andere Welt als die Domorgel Fulda. Im Grunde bin ich vom Süden in den Norden, wieder in den Süden, wieder in den Norden… die letzte Tage. Das Publikum von Klavierabenden ist ein ganz anderes als in Orgelkonzerten, herzlich, anbetend, nah, intim, sie starren auf mein Gesicht, sie beginnen eine Freundschaft mit mir, noch während des Spiels. Sie sehen mich. Das ist der Punkt. Sie sind nicht weit entfernt und bleiben daher nicht kühl. Sie sind meistens noch mehr begeistert von meiner Persönlichkeit als von meinem Spiel und nennen mich Martha Argerich, ein Vorbild. Mir tut das Klavierspielen gut. Als wir in der Villa ankamen, hatte ich nur noch 20 Minuten Zeit zum Einspielen.

Anschließend waren wir am Hafen essen. Die Luft hier ist schön, ich rieche die Gischt in der Luft.

Thorsten hat mir phantastische Orgeln heute morgen ab 7 Uhr gezeigt, daher habe ich nur wenig geschlafen, fast nichts. Von diesen wunderbaren lokalen Orgeln in Osthessen berichte ich morgen.

ps:

Manche der anonymen Kommentare auf meiner Seite sind so abstrus Macho, dass ich lachen muss. Sie erheitern mich. Ich bekomme manchmal einen Lachkrampf, wenn ich sie lese. Manche können nicht richtig rechtschreiben. Eigentlich fast keiner der anonymen Kommentar-Schreiber war irgendwie ganz richtig in Rechtschreibung und Grammatik. Bitte, schreibt mir doch mit richtiger Komma-Setzung. Ich reagiere allergisch auf schlechte Grammatik. Danke.

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