23. April 2023: Ich bin in einem Haus gefangen. (AHS)
Der Kurs Kinderchorleitung war wieder sehr schön: Solmisation, Rhythmusschule, Solfege, Kodaly. Wo Kinder singen, öffnet sich der Himmel. Und abends haben wir schwarze frische Tortelloni, Hot Sanddorn, scharfe Fischsuppe und Salat genossen. Lecker! Leute angeln am Bodden und auf dem Marktplatz ist Kunst aufgebaut. Überall prangt das Symbol Anker. Mit Sonne und Radl ist in Greifswald immer Urlaubsstimmung. Touristen in teuren Windjacken staunen herum.
Ich denke mir manchmal, dass Chorleitung und Orgelspiel doch wenig gemeinsam haben, um zu einem Fach (Kirchenmusik) zu gehören. An der Orgel sitzen gefühlt die Autisten und vor dem Chor soll man plötzlich die extrovertierte Nudel sein? Hmmm. Auf der anderen Seite geht es um Musik und mehr – das hält das Ganze zusammen. ☺️ Und dann wieder spüre und weiß ich, dass es zusammen gehört: Man führt und leitet an der Orgel und im Chor und atmet und schwingt.
My Chopin on Street Piano
Arundel Cathedral Orgel, UK, 3 M (HW auf dem zweiten Manual), Richard McVeigh, aufgenommen (Youtube) im Januar 2023 als live-Konzert
Schreiben über Musik: Mozart KV 608
Rezension Mozart KV 608 f-Moll Große Fantasie für eine mechanische (Orgel-) Uhr (1791), ca. 12 Minuten, in drei Sätzen, „Die Große“
Der britische selbständige Konzertorganist Richard McVeigh mit seiner Reihe BEAUTY IN SOUND spielt hier dieses virtuose, komplexe Werk, das als schwierigstes klassisches Orgelwerk gilt.
Wolfgang Amadeus Mozart hat leider keine originalen Orgelwerke geschrieben, was bedeutet, dass seine Werke für mechanische (automatische, weltliche, selbstspielende) Flötenuhren, Uhren, Walzen, Orgelautomaten oder Spielapparate komponiert wurden, und diese Tatsache macht diese Stücke unbequem und schwierig für reale Spielerinnen an der Pfeifen-Orgel, die diese Werke dann oft für sich arrangieren und mit vielen Fingersätzen versehen müssen, damit sie spielbar werden; dies betrifft auch die Mozartwerke KV 594 und KV 616.
Alle drei berühmten Werke, die Joseph Deym-Müller um 1790 in Auftrag gab, die wenigen Werke für Klassik an der Orgel allgemein, abgesehen von u.a. Knecht und Schnitzler, sind mit ihren Trillern, Doppeltrillern, Kadenzen, chromatischen Läufen sehr anspruchsvoll.
Wolfgang gab hier keine Grenzen in der Virtuosität, da er an mechanische Apparate dachte, deren Antriebswerk eine Walze in Rotation versetzte. Zudem ist das originale Manuskript verloren gegangen. Bei Mozarts Werken ist man immer „auf Glatteis“, da man jeden Fehler sofort hört. Mozart selbst war auch Organist und von Orgeln fasziniert.
Dies merkt man an den Kompositionen, besonders am Pedalsatz – ein großer Unterschied zu komponierenden Nicht-Organisten. Dieses Merkmal haben wir bei Werken von Liszt, der kein Organist war. Liszt‘ Werke an der Orgel sind sehr pianistisch. Das sind Mozarts Werke eindeutig nicht.
Richard spielt die romantisch arrangierte Version von Walter Emery, was jedoch dem Werk keinen Abbruch tut.
Die elektropneumatische Orgel von William Hill mit 39 Registern in der katholischen neugotischen Kathedrale in West-Sussex besitzt horizontale Trompeten, die auch in Mozarts Werk verwendet werden.
Richard Mc Veighs Markenzeichen seiner gut besuchten Youtube-Videos sind seine bunten Socken. In diesem Video spielt er nur mit Socken, auf denen sich Saxophone und Frauengesichter befinden, seinem Ipad und einer Apple-Watch. Natürlich ist er ansonsten bekleidet, sogar mit Nadelstreifenanzug und Krawatte, aber er trägt keine Orgelschuhe.
Er wirkt mit seiner in dieser gewissen Weise lässigen Art sympathisch, während er live schwierige Werke interpretiert. Es besteht also ein Unterschied zu vielen deutschen Organisten männlichen Geschlechts, die eher ernst, konservativ und wenig locker rüberkommen im Internet. Auch Richards Youtube-Beschreibungen machen seine lockere Art, die bei deutschen Organisten undenkbar und verpönt zu sein scheinen, deutlich: „But d’ya know what?“ Er ist äußerst produktiv auf Youtube, da er nach eigenen Aussagen Aufnahmen liebt. Er hat sich hier bewusst eine Community aufgebaut.
Die große Akustik der Kathedrale trägt den großen Klang, auch wenn der Organist ein flottes Tempo gewählt hat. Aufgrund des starken Nachhalls von mind. 5 Sekunden Nachhall spielt er viel leggiero und artikuliert, um Luft zwischen den Tönen zu lassen, auch bei Kadenzen. Auch seine Triller sind oft non legato. Mit der Setzeranlage wählt er selbst die Farben. Auffällig ist, dass er sehr „geradeaus“ spielt, straight forward, ohne viel Firlefanz, komplett ohne Rubato und mit viel Drive und Zungenfarbe.
Obwohl das Werk in drei Sätzen gegliedert ist, ist es dennoch auch ein großer, zusammenhängender Satz, der nicht direkt in drei verschiedene Tempi bewusst ausgeschildert ist. Richard spielt die beiden Kopfsätze auch fast in einem Tempo durch, auch den Mittelteil verhältnismäßig rasch, während viele Organistinnen mindestens drei verschiedene Tempi wählen: Allegro moderato, Andante und Allegro.
Der Andante-Mittelteil, der an die manualiter Flötenuhr KV 616 (Andante, F-Dur) erinnert, nur eben in Moll und mit Pedal, wird trotz seiner vielen Praller, Triller, Terzenläufe und Pedallinien von Richard sehr flüssig und emsig gespielt, vielleicht mit einer Spur zu wenig Andacht; ich mag eher verinnerlichte Hände; ein wenig mehr Seufzen; allerdings sind die Flötenfarben und Streicher, die er wählt, zudem verschieden eingestellte Tremulanten, sehr geschmackvoll und delikat.
Bei Mozart ist jede kleinste Verstimmung, vor allem, wenn man mehrere Vierfüße zieht, Gedackt 4, Traversflöte, Spitzflöte 4 beispielsweise, sofort störend. Das orchestrale Denken in der Registrierung und in der Artikulation muß man überzeugend beherrschen, auch was die Stellen der Pizzicato und der Staccati angeht, ohne spitz zu rupfen, Triller ohne Endüberschlag, denn das Werk ist keine Kammermusik, sondern orchestral angelegt.
Wichtig ist hierbei, nicht zu fett zu registrieren, sondern stets edel und schwingend, was Richard gelingt. Die „kleinere“ Fantasie KV 594 ist eher kammermusikalisch angelegt, ein Trauerwerk, für einen Orgelautomaten, jedoch „die Große“ steht unter einem besonders dichten, langen, orchestralen Bogen.
Seine artikulierte Pedaltechnik ist beeindruckend, alles wirkt buchstäblich leichtfüssig und sicher, er spielt mit den Innenkanten, Knie ebenfalls nach innen. Für die Kadenz am Ende des zweiten Satzes hat er allerdings keine eigenen improvisatorischen Ideen, was schade ist; dies schleppt etwas.
Im dritten Satz, der virtuosen Fuga mit Gegenthemen, steigert sich Richard kurzzeitig beinahe in ein Presto, besonders im Stretto-Teil der Coda (Engführung). Sein Anschlag ist weich, aber mit Biss, seine Staccati dicht an der Taste, also kein aktives Staccato, was den Klang weich, rund und voll macht, ohne störende Betonungen. Denn bei der Orgel zählt das Herausgehen aus der Taste und nicht wie beim Klavier das Hineingehen in die Taste. Er lässt die Orgel singen, drückt nicht und würgt sie nicht ab. Unter den Bögen lässt er stets ein decrescendi anklingen, was den Klang ebenfalls abrundet und Phrasen markiert.