Orgelbewegung und Orgelbau
Ob modernen Orgelbau oder historische Orgeln, ich freue mich, daß nicht alle Orgeln gleich sind. Die (Orgel-) Welt ist bunt. Orgelbau sollte insgesamt nicht zu technisch sein in meinen Augen, nicht so viele Kabel-Kunststoffe allgemein, manche Künstler wollen diese weder anschauen, fühlen, riechen noch damit arbeiten, da Kunststoffe Teil einer nach vergleichsweise wenigen Jahren abgängigen Apparatur sind, siehe Computer oder Auto. Der historische Orgelbau bietet in dieser Hinsicht Schönes.
Ich lese viel über die Orgelbewegung. Einen solchen (heftigen) Diskurs (bis heute) gibt es in der Klavierwelt nicht. Eine Orgel muss also immer “bachfähig” sein … ? Daher die Verstümmelung etlicher historischer Orgeln. Eine Schande! Interessant und Hauptkritikpunkt sind für mich die Verlogenheit bzw. Ahnungslosigkeit, mit der die Maßnahmen und Behauptungen begründet und wertvolle Orgelwerke zum Abschuß freigegeben wurden – stets in Begleitung eloquenter Lobhudelei auf alte Instrumente. Diese Zerstörung hat besonders die wunderschönen Walcker-Orgeln getroffen, wenn sie nicht schon durch den Krieg zerstört wurden. Unfassbar, wie Deutschland blind für seine eigenen Künstler war/ist! Walcker war keine Fabrikorgel! Ich liebe romantische Orgeln. Warum sollten diese nicht bachfähig sein? Es ist, als würde man Bach nicht auf einem Flügel erlauben. Ich liebe auch Barockorgeln und neue barocke Orgeln, die in der Barockzeit wurzeln, in der es keine Schwellwerke gab, allenfalls in Spanien. Ich liebe Orgeln mit und ohne Schweller; ich bin in keinem Fahrwasser verhaftet und eingesperrt.
Schöne Einzelstimmen und ein edel glänzendes Plenum sind mir wichtig.
Bei der Registrierung muss man ohnehin auf den Klang, nicht nur auf den Namen des Registerzuges achten: Zum Beispiel kann ein Doppelkegel-Regal etwas sein, das man dann eben “Vox Humana” anstatt “Basson” nennt (was unpraktisch wäre, wenn man noch ein weiteres Register gleichen Namens in der Orgel hätte). In der Herbst-Orgel in Lahm/Itzgrund gibt es ein solches Register, bei dem die Doppelkegel bis zu 1 m lange konische Schäfte haben. Die V. H. findet man in dieser Form in der Schnitger-Orgel zu Hamburg/St. Jacobi. Interessant ist, dass sowohl Mixturenchöre als auch Zungen spitzig sein können.
Das “Nashorn” in Dornum ist übrigens ein Nazard. Die Orgel in der Lutherkirche Leer hat in jedem Werk eine Mixtur 4-fach. Im Brustwerk ist diese allerdings in separat zu registrierende Reihen zerlegt, wie man das auch in alten italienischen Orgeln findet (dort “Ripieno” genannt).
Die 5-Loch-Humana ist Ahrends Spezial-Erfindung. Die anderen Zungen in der Lutherkirche Leer (im Hinterwerk) sind das Fagott 16’ (eine Art Dulzian) und der Basson 8′. Letzteres ist in dieser Form eine Eigenentwicklung Jürgen Ahrends, inspiriert von verschiedenen historischen Zungen, die nicht aus der Silbermann-Schule kommen, trotz des französischen Namens. (Gottfried Silbermann (Silbermanns Zunge Chalumeau), der später sich später in Freiberg/Sachsen (woher auch seine Familie stammte) niederließ, ging bei seinem älteren Bruder Andreas in Straßbourg in die Lehre und lernte dort den französischen Orgelbau kennen.)
Joseph Gabler aus Ochsenhausen (heutiges Baden-Württemberg) stand ebenfalls nicht Pate für Ahrends Zungen. (Gabler wurde durch zwei prächtige Orgeln bekannt, Weingarten und Ochsenhausen. Dabei gibt es eine Anekdote über eine besondere Vox Humana und die Gabler Hautbois aus seiner Hand.) Zum Einen gibt es ja – wenn man so will – “spitzig”, also scharf klingende Pfeifen (sowohl labiale als auch linguale), zum anderen kann “spitz” ja die Form des Pfeifenkörpers beschreiben. Das finden wir sowohl bei Labialen (Flöten: Spitzflöte, Spillflöte, Spitzgedackt, Gemshorn, Hohlflöte, Waldflöte; Streicher: Gambe) als auch bei Lingualen (barockes Krummhorn, Vox Humana, Barpfeife, also sog. “Doppelkegelregale”). Der Phantasie ist ja da ohnehin keine Grenze gesetzt. Auch umgekehrt spitz, d. h. trichter-/dolkanförmig, können sowohl Labiale (Schweizerpfeife, Gambe, seltener: Oktave 4’) als auch Linguale (Trompete, Posaune, Trichterregal) sein. Um einen besseren Überblick zu erhalten, und nachdem Weihnachten vor der Tür steht, darf ich das Buch von Roland Eberlein (Orgelregister) warm empfehlen. Registernamen sind nämlich nicht patentiert, so daß man viele Register an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Epochen mit verschiedenen Namen findet; nach Shakespeare, “What’s in a name?”.
“Spitzig” kann also den Klang meinen, während andere “spitzig” für “konisch” verwenden. Ich sage lieber konisch für Formen und spitzig für Klang.
Leave a Reply