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18. Juli 2020

Jedoch dieses Insistieren, mal vollmundig, mal zart, ist das Schönste bei Bach, das typisch Bache- dieser Nachdruck, die Intention. (AHS)

Sehr gute Registrierung ist komplexer als ich dachte, vor allem bei langen und großen Werken. Gestern und vorgestern habe ich mich den ganzen Tag mit Registrierung beschäftigt an einer neobarock-französischen Orgel in einer großen Kirche mit viel Hall. Dies kam dabei heraus – wobei man beachten muss, dass es manchmal leichter ist, in die Theorie verliebt zu sein als in wirkliche Praxis, zudem hat jeder eine eigene Philosophie:

  1. Jede Registrierung und Kombination wirkt und ist bei jedem Spielenden anders. Denn wie man auf die jeweilige Registrierung reagiert, spielt eine wichtige Rolle. Wenn man auf eine Registrierung nicht entsprechend im Raum reagiert, also mit Anschlag etc., hat die jeweilige Registrierung einen Großteil der Wirkung verfehlt oder klingt einfach anders hier als bei anderen. Wie man mit einer Registrierung arbeitet, hat auch mit Charakter und Typus zu tun. Man muss sich einlassen auf die jeweilige Registrierung. 
  2. Wichtig beim Registrieren sind die kleinen Schritte: Da die Registrierschritte aufeinander aufbauen, ist es entscheidend, immer den vorherigen Schritt im Ohr zu haben. Nicht darauf eine völlig neue Klangfarbe aufbauen, wenn der Klang insgesamt steigernd und rund sein soll. Dann bricht der Klang und damit auch die Phrase. Eigentlich ist das klar, aber welche kleinen Schritte kann man gehen? Um zu lernen, ist es gut, wirklich jedes einzelne Register einzeln zum bisherigen Klang zu testen, was den Klang runden kann in der Steigerung. Meist reicht ein Register aus, max. zwei, um im nächsten Schritt die Steigerung zu vollziehen. Und damit ist nicht unbedingt eine Mixtur oder eine Zunge gemeint, sondern zum Beispiel eine Quinte.
  3. Weniger ist mehr. Es geht nicht um Dezibel. Vorsichtig sein davor, zu früh viel zu laut zu werden. Achte auf die Akustik, den Hall und die Größe des Raumes.
  4. Finde heraus, ob ein Klang scheppert. Und dann finde, was den Klang scheppern macht. So wie andere ihren Klang auf der Violine finden, so muss ich ihn auf der Orgel finden. Das wird dann mein Klang.
  5. Finde heraus, ob ein Klang quietscht (Mixturen, 2-Füße) oder zu dünn ist oder nicht genügend zeichnet oder schmutzig ist durch zu viele Verdoppelungen oder ob sich etwas beißt oder Verstimmungen hervorruft, vor allem bei Zungen.
  6. Es mag sein, dass man eine nicht so gute Technik durch gute Registrierung ein Stück weit “wett machen kann”. Aber es kommt noch schlimmer: Eine sehr gute Technik kann durch schlechte Registrierung sinnlos oder unmöglich gemacht werden.   
  7. Vorsicht bei Zungen: Diese nicht, vor allem, wenn sie verstimmt sind, mit Prinzipalen mischen, sondern lieber mit Flöten und Aliquoten.
  8. Wenn Zungen verstimmt sind, was immer mal sein kann, diese lieber versuchen, zu vermeiden. Es ist eine Kunst, laute (verstimmte) Zungen zu vermeiden und dennoch eine gute Registrierung zu erreichen.
  9. Wenn die Zungen verstimmt sind, suche nur leise Zungen, Aliquoten, gute Ersatz-Kombinationen und versuche, Zungen zu kombinieren mit “reinigenden” Flöte und Quinten.
  10. Wenn in der Steigerung der Klang ohnehin schon sehr hoch ist, füge keine Mixturen ein, die noch heller machen, sondern versuche den Ton bodenständiger in der Steigerung zu bekommen, “tiefer”, abdunkelnd beispielsweise durch 16-Füße oder (leise) Zungen oder (mehrere) 8-Füße.
  11. Wenn der Klang “schwimmt”,  also nicht greift, entferne alles Überflüssige. Manchmal ist einfach ein Register zu viel – dieses eine finden. Es kann die 4-Fuß-Flöte sein, die unnötig ist. Spiele hierzu nicht nur ein paar Takte, sondern eine ganze Passage. Oft lassen sich Dinge erst im längeren Spiel erkennen bzw. erhören. 
  12. Oder manchmal fehlt ein Register, um den Klang runder zu bekommen. Finde dieses eine Register. Das ist anstrengend, vor allem, wenn das Abhören von Orgelregistern ungewohnt ist. Oft ist es eine Nuance, also ein Register, nicht eine ganze Gruppe. Eine einzige Nuance kann den ganzen Klang verändern! 
  13. Achte immer auf den Schweller, in welcher Position er sich befindet. Es ist verheerend, den Schweller zu vergessen! Achte auch darauf, dass er, wenn du ihn brauchst, auch angewählt ist durch eine Koppel etc. Sonst bewegt man den Schweller umsonst. 
  14. Achte immer auf die Koppeln! Diese nicht vergessen: Habe ich wirklich alle mir zu verfügenden Koppeln ausgeschöpft? Oder eine vergessen? Koppeln sich nicht scheuen, zu verwenden.
  15. Mixturen und laute Zungen bewusst als Höhepunkt einsetzen. Vorher nicht. Achte hierbei auch darauf, welche Mixtur gerade die passendste ist. Wenn man drei zur Verfügung hat, sind diese drei unterschiedlich. Welche ist die schärfste, welche die rundeste? Meist auf keinen Fall einfach alle drei ziehen, sondern auswählen.
  16. Verwende keine bereits gesetzten Setzer anderer, auch wenn sie frei sind. Meist sind sie unpassend oder schlecht.
  17. Achte darauf, was du zur Mixtur ziehst. Meist sind dann nicht noch zusätzlich 2-Füße notwendig, wenn die Mixtur atmen will. Sei überhaupt vorsichtig und sparsam mit 2-Füßen.
  18. Achte auf das Rückpositiv. Es ist meist nah am Publikum und dadurch beispielsweise für Begleitung nicht geeignet. Es klingt meist im Raum viel lauter als am Spieltisch. Für Begleitung das dritte Manual (Schwellwerk) verwenden. Achte hierbei auch auf alles, was an das Rückpositiv gekoppelt ist! Die Koppeln nicht vergessen. Beispielsweise eine Quintadena ist hier für eine Solostimme gut geeignet. Nicht “einfach so” einbauen.
  19. Das Schwellwerk ist sehr gut für alle pp-Stellen und für Begleitung.
  20. Vorsicht bei manchen Manualwechseln: Oft entsteht hier ein größerer klanglicher Bruch, als wenn man umregistriert.
  21. Manchmal oder oft sind Manualwechsel an  manchen Orgeln nicht möglich. Das macht nichts, einfach akzeptieren.
  22. Bei gewissen Klangvorstellungen (beispielsweise dass es glitzern soll), reicht eine oder zwei richtige Knöpfe- unnötige Verdoppelungen vermeiden. Eliminiere das, was den Klang nicht verbessert oder nicht verändert.
  23. Zu viel Schweller-Aktivität und Schwebung bei Liszt vermeiden.
  24. Kurzum: Achte darauf, alles was ungewollt schmetternd, scheppernd, scharf, schmutzig, laut, quietschend klingt zu vermeiden. Orgelspielen heisst nicht, laut spielen. Es heisst nicht, Zungen und Mixturen ziehen. Auch nicht im Pedal. Sei sehr sparsam mit Mixtur im Pedal. Sei sparsam mit Zunge im Pedal. Achte besonders darauf, wie und wann du welche Zunge einsetzt. Eine zarte Oboe ist häufiger einsetzbar als ein Fagott Basson 16 oder eine Posaune oder ein Krummhorn.
  25. Baue erst mal so viel wie möglich ohne Mixtur und Zungen und nehme diese dann noch vereinzelt, wenn es passt. Alles, was hinzu zu Zunge und Mixtur gemischt wird, muss passen und abgestimmt sein. 
  26. Wenn du eine Registrierung hast, wende sie auch entsprechend spielend im Raum an, was Anschlag und Absprache etc. angeht.
  27. Lieber weniger und gut registrieren als zu viel, zu laut, Phrasen zerstörend oder verkleinernd.
  28. Oft kann man im Pedal auf zwei 16-Füße verzichten in leisen Stellen der Romantik. Eine reicht. 
  29. Besondere Vorsicht vor (besonders bei neobarocken Orgeln mit französischem Zusatz): Mixtur, Krummhorn, Zymbel, Cornet, Vox Humana kurzbechrig, Tierce, Vox Celeste Schwebung, Posaune, Basson… Vorsicht mit der Quinte, wenn sie gekoppelt ist, beispielsweise Pedalkoppel. Und immer Vorsicht mit Mixtur im Pedal, da sich die Manuale dann komplett anpassen müssen. 
  30. Lieber weniger beim Anpassen nehmen als (heftiges) Aufregistrieren. Generell Vorsicht beim Aufregistrieren! Immer sensibel, erst mal nur eins dazu, max. zwei. Auch wenn man meint, am Spieltisch keinen Unterschied zu hören, so hört man es doch unten. Nie massiv aufregistrieren, außer es soll so sein. Oft ist es nur ein Hauch, ein Mü, was den Unterschied und die Steigerung tatsächlich ausmacht. Zudem muss man beachten, dass es einen Unterschied macht, ob viele oder wenige Menschen in der Kirche sind. 
  31. Am nächsten Tag ausgeruht noch mal hin und Registrierungen überprüfen, wenn alles verdaut ist. Wie, wenn man gemalt hat, das Bild über Nacht trocknet und man es am nächsten Tag prüft. 
  32. Schweller: Immer ganz sachte bedienen, die Wirkung ist oft stärker unten als gedacht, es muss ganz sachte immer zur Phrase passen. Den Schweller stark im Griff haben, um ihn sachte bedienen zu können. 
  33. Spaß dabei nicht vergessen! Registriere die Freude im Kopf. 

Hey-Orgel Bad Windsheim 2020

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