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17. Juni 2020

Die Füße auf dem Pedal sind für mich wie Saugknöpfe. (AHS)

Ich freue mich auf die Konzerte in Mönchengladbach und Schweden.

Wenn ich die Passacaglia c-Moll übe, dann bekomme ich Gänsehaus beim Üben, obwohl es doch noch nicht rund läuft, da neu. Es ist einfach die Komposition an sich, die mich völlig fasziniert. Ein Werk mit Universen, Monden und Sternen. Ich finde die Anfangszeit mit einem neuen Werk entscheidend, ist das Schönste, das Schmackhafteste, ist der Spargelkopf. Auch meine erste unschuldige Anfangszeit mit der Orgel möchte ich mir bewahren. Die erste Liebe. Es ist/war eine so kindliche, zärtliche Annäherung, die ich mir für immer bewahren möchte. Ich bin oft entsetzt über die lieblose, abgestumpfte, arrogante, blinde, harte, nüchterne “Beziehung”, die manche mit ihren Instrumenten nach einer Weile haben und dies professionell nennen. Es ist einfach schmutzig und unrein. Das Kindliche muss bleiben, ist kreativ. Ich glaube, dass Bach auch etwas Kindliches hatte. Genau wie Gott. Das Harte fehlt. Ich kann das an Tieren sehen, an Bäumen, Blumen, an Wolken, an Kindern, an allem, was schön ist, an Bachs Musik. “Professionell” kann in der Kunst sehr negativ sein. Oft ist es tot und unkreativ.

In Bachs Passacaglia blinkt das Thema auf wie ein Lichtstrahl durch dichte Wolken auf, buchstäblich. Es hat beinahe etwas Magisches, da das Thema meist irgendwo ist für den Hörer, ungreifbar, unten, oben, überall.

Ich liebe es, wie die Variationen überlappend ineinander übergreifen, diese Verschränkungen. Wie Bach musikalisch Drama versteht und komponiert, wie er also das Dramatische komponiert, gefällt mir am besten. Er komponiert Dynamik aus, Virtuosität, Verdichtungen, Crescendi – all das ist atemberaubend. Aber wie er Drama auskomponiert – das ist für mich das Atemberaubendste: Dass und wie er unerwartet Akzente und Crescendi auf die unbetonten Zählzeiten bringt, die ins Leere laufen, ins Nichts; die kraftvollen Pausen; dass er das Thema auch in Brummkreiseln bringt, die im Kreis drehen, die oszillierenden, schwingenden Variationen  – man weiß nie, was als nächstes passiert – dann wieder Drehfiguren ohne Kontur, die das Thema umspielen, ein herzzerreißendes Seufzermotiv sechsmal in drei Takten (!), aus dem Nichts plötzlich 5-stimmig bei dem Genauen – steigend, absteigend, dann beides zusammen, was freche Harmonien ergibt, süffige Dissonanzen, alles genau geplant, dann das intensiv Auftaktige – majestätische Fanfaren – alles spitzt sich zu zur Fuge – und inmitten diesem allen leuchtet immer wieder das Thema auf, wie eine stabile, profilierte Botschaft, Lichtstrahl durch Wolken und Geflecht. Und in all dem dieses Persönliche, sein Gefühl. Die Musiktheorie wird nicht nur Kunst, sondern wird Gefühl. Viel mehr Persönliches als das Galante, wenn auch versteckt – was nicht bedeutet, dass Bach, auf sensible Weise, Galantes in seiner Musik nicht durchaus verwoben hat. Obwohl die Passacaglia nicht an Fahrt aufnimmt, keine Binnen-Agogik hat, nimmt sie doch durch ihre Dramatik an Fahrt auf.

Die Art, wie Bach mit dem Bass umgeht. Mit Bass. Ja, die Orgel ist Bass. In vieler Hinsicht. Von unten alles aufgebaut und geschichtet. Der Bass, dem sich alle Stimmen unterordnen müssen. Mal Thema, mal Fundament, mal Harmonie. Das ist das, was mich anzieht. Auch die Art, wie Bach mit den Regeln der Musikheorie umgeht. Bei ihm wird das Trockenste und Simpelste und Komplexeste gleiche Kunst. Dominante und Tonika Neapolitaner. Nie habe ich eine schönere Dramatik gesehen und gehört. Selbst wenn ich wie ein Storch noch vorwärts stake, bin ich voller Gänsehaut beim Üben. Bei Bach macht alles Sinn.

“Gut abgesetztes Legato” – so etwas gibt es nur an der Orgel.

Was mich wundert ist, dass das ganze Leben politisch ist. Alles scheint Politik zu sein. Ich habe zufällig in das Buch von Helmuth Kohl (“Tagebücher”) hinein geschnuppert. Er schreibt, dass es das System der Seilschaften (von Männern erfunden) gibt. Er schreibt, dies kann sehr gefährlich und negativ sein. Ich weiß noch nicht recht, wie ich mich damit arrangieren soll.

Natürlich gehört zum Lernen auch Wollen, Mut und Demut. Ich glaube, viele sind nicht demütig genug und zu feige, ab einem bestimmten Alter Neues zu lernen. Ich meine, wirklich Neues. Besonders die im System der Seilschaften.

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