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Den Rest des Tages spüren. (AHS)

4. Februar 2023: Das laut knisternde Hustenbonbon satter Laien macht das Rondo hungrig. (AHS)

Wie prasselnde, glänzende Edelsteine von hohen Dächern herab geschüttet, so wickelt sich um mich frisch gestimmter Klang und will mit seiner goldenen Zunge jeden Finger und mein Herz berühren: Den Rest des Tages spüren.

Foto: Bensheim

Wieder zwei Prüfungen gestern geschafft und bestanden. Das Niveau des Studentenchores hier in Greifswald ist jedoch tief. Ich habe ein neues Stück mit ihnen geprobt, und sie konnten keine Zeile richtig oder sauber singen oder erarbeitete Töne finden, obwohl ich mehrfach vorgesungen habe. Dabei war das Stück schön und nicht schwer.

Insgesamt kann ich das Institut nicht empfehlen. Das künstlerische Niveau in Orgel und Klavier ist niedrig. Die Zimmer sind ausschließlich nach Männern benannt, obwohl die Gründerin eine Frau war. Es gibt ein Zimmer, das nach einer Frau benannt ist, und das ist im Keller! Symbolisch. Alle Professuren und Hiwi-Stellen dieser Abteilung: Männer, so auch der Studentensprecher, Markus Hansen, der bewusst dauerpräsent ist und meine Chorprobe boykottierte, weil ich gar nicht in sein Schema passe. Frauen haben nur schlecht bezahlte Lehraufträge. Und die wehren sich bekanntlich nicht. Im Gegenteil, sie sind noch dankbar. 

Viele Studenten (fast alle hier aus der Gegend) sind im 13./14./15. Semester, was hier normal ist – und wenn ich von weit weg sehr schnell fertig werden möchte, was es hier noch nie gab, wird man schief angeguckt und muß sich viel gefallen lassen.

Greifswald ist weltweit die einzige Einrichtung, die verlangt hat, dass auch ich Klavier und Orgel als Abschluss spielen soll trotz Master und Konzertexamen. Künstlerische Fächer werden grundsätzlich nicht anerkannt. Begründung von Matthias Schneider: Es muß der Greifswalder Stempel drauf.

Aha. Was ich gemacht habe. Ich bekam die 1,0. Der Klavierlehrer hier, Raik Harder, der nicht meine Abschlüsse hat und kein Konzertpianist ist wie ich, grinste mich süßlich an.
Aber ich halte durch! Gegen den Strom.

17 Antworten auf “Den Rest des Tages spüren. (AHS)”

  1. Mephisto Otto

    gar manchen Menschen , wohlbekannt, wünscht ich, auch sei es allerhand, die Neugeburt als Himmelswesen

  2. Hans Bonfigt

    Da war der Pilot, Chesley Sullenberger, der nach Ausfall zweier Triebwerke während des Starts seine Maschine gegen alle Regeln und gegen alle Automatiken im Hudson gelandet hatte und 250 Passagieren das Leben rettete. Er schrieb später:
    “Flug 1549 begann nicht am 15. Januar 2009. Er begann 30 Jahre früher, als ich zum erstmal eine Cessna bestieg”.

    Du bist Musikerin seit dem 5. Lebensjahr.

    Die Frage ist ja eher, “was machen die Studenten und Kantoren aus sich” ? Würde ein Kantor Kaiser Liszts ‘Ad nos’ so spielen können wie du in https://youtu.be/T2plCZ8Xuv4 ?
    Möglicherweise mit nur zwei Jahren Erfahrung am Instrument Orgel ?
    Eher wachsen ihm alle Haare wieder nach, bevor er das hinbekommt, denn:

    Gott träumt in Menschen wie Dir,
    er schnarcht in den Kantoren
    und er furzt in den Zippeln.

    Deswegen würde ich es Greifswald nicht übelnehmen, daß sie ihren “Medaillenspiegel” mit einer 1,0 aufgewertet hat, indem sie Dich zur Prüfung verpflichtet hat.

    • Stefan T

      Ich kenne niemanden, der in so kurzer Zeit so professionell Orgel spielen lernte wie sie … Herz!

      • Hans Bonfigt

        Vielleicht, weil sie nicht nur “professionell” spielt ?

        Vor “professionellem” Orgelspiel bin ich immer weggelaufen.
        Der Kantor in “unserer” Kirchengemeinde verunstaltete auch den Musikunterricht auf dem Gymnasium, das ich besuchte.
        Der war so musikalisch wie eine Rolle doppelseitiges Klebeband. Und dann war meine Mutter auch noch in der Kantorei, nicht weil sie mochte, sondern weil sich das “so gehörte”. Und Kinder erkennen Heuchelei. Es setzte aber jeden Dezember mindestens vier mal stundenlange Oratorien in kalten, zugigen Kirchen auf harten Bänken. Der viel zu lange Nachhall war der Freund des Kantors, weil er seine Fehler “verschmierte”. Viele Pianisten kaschieren ja auch gerne mit dem Pedal.
        Auf solche “Professionalität” kann ich gerne verzichten. Damals als 12jähriger genau wie heute mit 62.

        Ann-Helena hat irgendwo hier geschrieben, “je größer die Orgel, desto zärtlicher muß sie angefaßt werden”. Als musikalisch völlig unbegabter Mensch habe ich das, genau wie Kantor Kaiser in einem Evangelenblättchen, für blanken Unsinn gehalten. Bis ich dann ihr oben verlinktes “Ad nos” gefunden habe.
        Ich hebe noch NIE gesehen, wie jemand auf der einen Seite so sicher und bestimmt, auf der anderen Seite aber so “zärtlich” die Tasten bedient hat – das gilt sowohl für Manual als auch Pedal. Da kommt mir bei der Rezeption die “unkünstlerische” Spezialisierung auf Meß- und Regeltechnik zugute: Man sieht und spürt, daß Ann-Helena zwei unabhängige Regelkreise kaskadiert: Einmal wertet sie die Tonrezeption über Gehör und Gehirn aus, gleichzeitig aber die taktile Rückkopplung der Mechanik. Das kann man, eine bestimmte Begabung vorausgesetzt, bestimmt antrainieren.
        Aber sie spielt den Notenstrom nicht vom Blatt ab im Gleichtakt wie eine Maschine, sondern sie spielt, nein, artikuliert “in ganzen Sätzen”. Sie baut Bögen auf.
        Liszt war vom Genotyp her zuvörderst Pianist, auch Ann-Helena kommt ja vom Klavierspiel, und mit einem Pianoforte hat sie ja wesentlich mehr Möglichkeiten, “Perkussion” und andere Elemente einzusetzen. An der Orgel ist sie dieser Möglichkeiten beraubt – aber dennoch schafft sie es mit intuitiver Musikalität, eine “Aussage” zu machen. Es ist mir völlig unerklärlich, wie sie das macht.

        Aber das “Gesamtkunstwerk” kulminiert dann in einem Moment, wo Musik nicht “gespielt” wird im Sinne von “zu Gehör gebracht”. Es ist der göttliche Moment, wo Musik GESCHIEHT. Wo Musik erlebbar wird. Sogar für Agnostiker.

  3. Dariiiiiii A

    Die sollten alle mal „Pia Desideria“ lesen: Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen – 1675!!

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