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30. April 2022

Es gibt so etwas wie “geborgener Schmerz”: Bach drückt in seiner Musik Schmerz in Geborgenheit aus. (AHS)

Foto: St. Nikolai Stralsund

Es ist eigentlich ein völlig falsches, abschreckendes und bedenkliches Wort, Generalbass „Generalbass“ zu nennen. Es müsste ein neues Wort gefunden werden, das weniger kriegsmännerautoritär klingt, denn es geht ja um etwas ganz anderes: Ankerbass müsste er genannt werden. Denn der sogenannte Generalbass bedeutet nicht, stur nach Zahlen zu spielen, was manche fälschlicherweise denken und auch so unterrichten, sondern er ist etwas sehr Kreatives: Eine Sprache, eine Klangsprache, die man lernt, um mit anderen kammermusikalisch zusammenzuspielen. Das macht Spaß!

Der Greifswalder Domchor macht auch Spaß. Einen Chor zu dirigieren ist eine feine Sache. Es ist zudem Gehörbildung pur, finde ich. Die Arbeit mit Stimmgabel ist noch seltsam für mich; denn ich habe eigentlich ein absolutes Gehör. Aber vor einem Chor habe ich schon erlebt, dass man in eine Art „Rauschzustand“ gerät und gar nichts mehr hört, weil man in der Musik schwebt und nur noch das hört, was man hören will: Engelsgesang. Es ist also absolut Training und Erfahrung. „Mehr nicht“. Bodenarbeit. Nicht im Himmel schweben. Es gehört Mut dazu, sein Gehör, diesen wichtigen Sinn, der Realität zu überlassen. Das zu hören, was real ist. Das Gehör hat sehr viel mit der Seele zu tun, spiegelt diese sozusagen wider. Wer eher verträumt ist und mit dem Kopf im Himmel lebt, hört dementsprechend anders. Ich höre oft mit Adrenalin und Rausch, oder mit Drama oder mit unendlichem Gefühl. Aber ich weiß, dass man auch sehr nüchtern, gelassen und klar und real hören muss. Das kann ich auch. Beim relaxten Üben. Und genau dieses Hören braucht man bei der Chorleitung. Down to earth, ganz beim Chor, auch wenn er „schief“ singt. So auch im übertragenen Sinne. Manchmal ist übergroße Musikalität auch ein Hindernis. Wenn sich mein Gehör mit meiner Vorstellungskraft verbindet. Mit geschlossenen Augen wiege ich mich Engelsmusik, während der Alt keinen Ton trifft. Beste Sprüche dieser Woche:

“Mach meine Stimmgabel nicht kaputt“.

“Wenden Sie sich doch mal dem Alt zu.“

In der Dusche lache ich oft über solche Sprüche noch lange im Nachhinein. Ich liebe Situationskomik, wenn Leute kollidieren mit meiner komplexen Innenwelt.

Insgesamt ist das System der Kirchenmusik oft erschreckend bürokratisch, kühl und nüchtern. Wenn die Kirchenmusik ein Mensch wäre, bräuchte der Mensch einen ordentlichen Schuss Spontanität, Flexibilität, Gnade ins Blut gepumpt. Dann kämen auch wieder mehr Menschen in die Kirche. Es wundert mich nicht, dass so viele Menschen aus Kirchen austreten. Das System ist zu hart und zu lieblos. Oft ohne Erbarmen. Auch ich bin mit einem Berg von Bürokratie konfrontiert. Allerdings muss ich persönlich lernen, mit Nüchternheit gut umzugehen. Eine Spur mehr Nüchternheit würde mir gut tun. Dennoch und deswegen merke ich, dass die Ausbildung an sich wertvoll und wichtig ist.

Im Mai kommen on top viele Konzerte auf mich zu. Bitte betet für mich. Ich brauche viele Wunder, weil sich im Mai Termine stapeln und teilweise alle auf einen Tag fallen. Ich kann mich nicht zerreißen zwischen Terminen, die 1000 km auseinander liegen. Wichtig: Entscheidungen fällen. Ich versuche dabei, auf mein Herz zu hören.

Orgel-Information:

Pfaff Orgel Klosterkirche Oberndorf, Schwarzwald

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